Wer hört denn schon auf Engelszungen

MIt allerlei rosigen Versprechen versuchen Italiens Behörden, albanische Flüchtlinge zur Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen. Die wollen aber nicht gehen, sind im Hungerstreik und drohen, sich umzubringen  ■ Aus Cassano delle Murge Werner Raith

Engelszungen, so scheint es, haben derzeit in Italien Hochkonjunktur. Mehr als mit Engelszungen, sagt Ministerpräsident Romano Prodi, könne man es den Leuten doch nicht zu sagen versuchen. Der Polizeichef von Brindisi hat eigener Aussage zufolge die Überredung auch mit diesem Mittel probiert, und Dutzende Sozialarbeiter reden sich den Mund fusselig, natürlich auch per Engelszunge, um den Menschen hier zu verklickern, daß nichts, aber auch gar nichts an ihrer Rückkehr nach Albanien vorbeiführt.

An die 5.000 Menschen, die während der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen 1996 mit zum Teil lebensgefährlichen Wassergefährten nach Italien gekommen sind und die zu Beginn beim ersten vorgesehenen „Repatriierungs“-Termin ausgespart wurden, müssen innerhalb der nächsten Tage Italien verlassen – persönliche Gefährdung und politische Verfolgung kann angeblich niemand mehr geltend machen. Die verbliebenen gut zwei Dutzend Aufnahmelager, übers ganze Land verstreut, werden in dieser Woche geschlossen.

Doch die AlbanerInnen wollen nicht zurück. „Was sollen wir dort denn machen? Wie leben? Unsere Landsleute zu Hause haben doch selbst nur Hunger und Arbeitslosigkeit“, sagt Mermal Huxni, der mit Frau und vier Kindern als einer der ersten die Ausweisungsverfügung in die Hand gedrückt bekam. Die größte Gemeinheit, sagt er, „ist die, daß nun ausgerechnet wir, die wir uns jeder Anordnung der Behörden gefügt haben, als erste wegsollen. Während die Hunderte, die einfach ausgerissen sind, wahrscheinlich wieder eine Verlängerung und am Ende vielleicht gar eine Aufenthaltserlaubnis kriegen – dann nämlich, wenn sich einige von uns umgebracht haben oder vom Schiff ins Meer gesprungen sind.“

Er übertreibt nicht: Solche Drohungen gibt es, und daß mittlerweile nahezu ein Drittel der Flüchtlinge aus den Camps verschwunden ist, trotz eifriger Bewachung, haben auch die Behörden schon festgestellt. „Vielleicht paßt denen dieser Schwund sogar“, sagt Armando Percoco, Sozialarbeiter, der sich vor allem um die Kinder hier gekümmert hat: „Jeder, den sie nicht haben, ist einer weniger, den sie in der Kraftaktion der nächsten Tage, möglicherweise vor Fernsehkameras der Weltöffentlichkeit, gewaltsam verfrachten müssen.“ Regierungschef Prodi schüttelt angesichts dieses Unmuts den Kopf: „Ich verstehe gar nicht, woran's hakt. Jetzt geben wir denen sogar noch Geld als Überbrückungshilfe, aber sie wollen einfach nicht.“

Daß es vielleicht an der Höhe der ausgesetzten Prämie liegt, kommt ihm offenbar nicht in den Kopf: umgerechnet dreihundert Mark pro Erwachsener, 150 Mark pro Kind kriegt, wer freiwillig abhaut. Außerdem wird den Leuten, die auf Engelszungen hören, für später eine saisonale Arbeitserlaubnis in Aussicht gestellt. Dünner Trost für einen wie Mermal, denn wenn seine Familie dann erstmals wieder in Albanien ist, kann er sie auch nicht mehr alleine lassen – „ich fürchte Anschläge der anderen Leute dort, die uns nun als Eindringlinge ansehen und uns vielleicht sogar die paar tausend Lire neiden.“

Kurzum: Die Menschen wollen hierbleiben. Zumal sie meinen, daß eine auch nur kleine Förderung durch die Regierung bei zahlreichen Unternehmern die Bereitschaft wecken könnte, sie regulär arbeiten zu lassen. „Zehn Prozent Abschlag von den Lohnnebenkosten“, sagt auch Sozialarbeiter Percoco, „und die Leute werden innerhalb von zwei Tagen eingestellt.“ Aber nix da: Da möchten dann wieder die Gewerkschaften protestieren, weil die Arbeitslosigkeit in Italien selbst ja exorbitant hoch ist.

Am Montag abend machen sich die ersten Schiffe bereit, Freiwillige überzusetzen. Tatsächlich kommen einige Familien mit Gepäck; aber mehr als vier Dutzend sind es am Ende nicht, die den winkenden Freunden am Kai noch einen Gruß zuwerfen: Mit gut 300 hatten die Behörden gerechnet.

Eine Ente auch eine zunächst von der Regierung mit Freude aufgenommene Meldung: Vom Camp von San Mauro Mare bei Cesena seien angeblich alle 150 Bewohner zurückgefahren. „Pustekuchen; nicht einer ist nach Albanien, sie haben sich allesamt verkrümelt“, schimpft wenig später ein Polizeisprecher, „und wir müssen sie wieder einfangen.“ Staatssekretär Pietro Fassino vom Außenministerium sorgt sich dabei weniger um das Schicksal dieser Menschen – die durchaus hohe Aussichten haben, in den Fängen der Organisierten Kriminalität zu landen –, sondern ums Image Italiens: „Wir dürfen uns, gerade mal einen Monat nach dem Beitritt zum Schengener Abkommen, keine Zweideutigkeit leisten – nichts, was den Eindruck erweckt, wir würden die Augen zudrücken.“

Endlich einer, der keine Engelszunge verwendet, sondern klarmacht, was für die Regierung Sache ist: sich wieder mal möglichst europäisch zu verhalten. In diesem Sinne betont denn Romano Prodi auch immer wieder: „Die Rückkehr in euer Vaterland ist ein absolutes Muß.“

Nichts zählen da natürlich auch die menschlichen Schicksale: Speziell die Kinder werden schwer leiden, die meisten von ihnen haben mittlerweile italienische Schulen besucht, sie werden aber in Albanien entweder keine oder nur schlecht funktionierende Anstalten vorfinden; viele junge Leute haben auch Beziehungen zu Italienern und Italienerinnen geknüpft, aber auch wenn sie bald heiraten wollen, muß der albanische Teil erst mal wieder zurück.

„Unglaublich“, entsetzt sich Percoco immer wieder, „zu welcher Unmenschlichkeit dieses Europa fähig ist.“ Ja, sagt da Staatssekretär Fassino, Europa fordert eben Opfer.