Trübe Aussichten für klare Luftverhältnisse

Die Aufbruchstimmung von Rio ist vorbei: Berlin verursacht weniger CO2, aber Reduktionsziel 25 Prozent in weiter Ferne  ■ Von Bernhard Pötter

Der Ausflug von Umweltsenator Peter Strieder (SPD) ins japanische Kioto hat sich gelohnt: Auf der UNO-Klimakonferenz gab es für Berlin eine lobende Erwähnung, weil die deutsche Hauptstadt in den letzten Jahren eine reale Reduzierung der Klimagase nachweisen kann. Dieser absolute Rückgang entlaste das Weltklima, auch wenn die Pro-Kopf-Entlastung etwa in Kopenhagen oder Saarbrücken höher ist, stellte der „International Council for Local Environmental Initiatives“ (ICLEI) fest.

Doch Berlin ist nur die Einäugige unter den Blinden. Denn bei der Klimapolitik bleibt das Land hinter den selbstgesteckten Zielen zurück. Zwar läuft eine umfassende Klimaschutzpolitik langsam an, doch die Umsetzung von CO2- Reduzierung im geplanten Umfang läßt auf sich warten. Für die angestrebte Reduzierung der Klimagase um 25 Prozent bis zum Jahr 2010 ist eine allgemeine Neuorientierung der Politik in Bau, Verkehr und Umwelt nötig, konstatiert der bisher unveröffentlichte Energiebericht der Umweltverwaltung. Von diesem Ziel ist das Land weit entfernt.

Die umweltpolitische Gruppe „Berlin 21“, der „Verein zur Förderung der Solarenergie“ und die „Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie“ urteilen sogar noch schärfer: „Umsetzung Fehlanzeige“ lautet ihrer Bilanz des 1994 beschlossenen Energiekonzepts Berlin. „Von 40 verbindlich beschlossenen Maßnahmen wurden 27 nicht oder nur zu geringem Teil verwirklicht“, heißt es. „Die deutsche Hauptstadt setzt die Verpflichtungen nicht um, mit denen sie als Gastgeberin des ersten Klimagipfels im Frühjahr 1995 eine Vorreiterrolle spielte.“

In der Tat hat sich das Klima für den Klimaschutz verschlechtert: Von einer Aufbruchstimmung, die nach der Rio-Konferenz herrschte, ist vor Kioto nichts mehr zu spüren. Das Energiekonzept von 1994 wurde nicht von entsprechenden Geldmitteln für konkrete Maßnahmen begleitet. Außerdem betrifft Klimaschutz im Ernstfall alle Ressorts, und die Finanzierung der Maßnahmen muß auch aus eben diesen Ressorts kommen. In Zeiten knapper Kassen setzen die oft genug andere Prioritäten.

Laut Statistik bläst jeder Berliner etwa acht Tonnen CO2 jährlich in die Atmosphäre. 1990 lag der Gesamtausstoß bei rund 30,5 Millionen Tonnen, 1995 waren es nur noch 29 Millionen Tonnen – ein Rückgang von rund 5 Prozent, errechnet Lars Vogelsang von „Berlin 21“. Doch über diese Fakten sind Umweltverwaltung und regierungsunabhängige Organisationen (NGOs) uneins. Klaus Müschen, Chef der Energieleitstelle, spricht von 11 Prozent Reduzierung seit 1990. Einig sind sich Verwaltung und NGO nur darin, daß ein großer Teil des CO2-Rückgangs dem Zusammenbruch der Ost- Wirtschaft zu verdanken ist – und daß die nächsten 15 oder 20 Prozent Reduzierung wesentlich schwerer zu erreichen sein werden.

Offizielle und inoffizielle Klimapolitik unterscheidet sich vor allem darin, das Glas jeweils halb voll oder halb leer zu sehen. So verweist die Umweltverwaltung stolz darauf, inzwischen befänden sich viele der 1994 vereinbarten Maßnahmen „in der Umsetzung“: Ökologische Modernisierung und Instandsetzung bei Neu- und Altbauten, Energiesparen in öffentlichen Gebäuden, Informationen über Energiebewußtsein.

Die Berliner Klimapolitik ist durchaus erfolgreich: Nach Angaben von Müschen wurden seit 1990 insgesamt 600.000 Wohnungen unter Energiesparaspekten saniert, die Sonnenenergie werde durch die Solarstrombörse der Bewag und durch die freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie gefördert, inzwischen sorgen Blockheizkraftwerke mit 80 Megawatt für dezentralen Öko-Strom, das neue ökologische Heizkraftwerk Mitte der Bewag entlastet die Luft um jährlich eine Million Tonnen CO2, und die Gasag hat ihre löchrigen Leitungen gestopft, aus dem das extrem aggressive Klimagas Methan austrat. Ein großer Schritt nach vorn ist auch die „Energiesparpartnerschaft“, in der das Land seine Gebäude Privaten zur Bewirtschaftung überläßt und den Gewinn mit ihnen teilt: Neben 3 Millionen Mark jährlich spart das Land außerdem CO2.

Die Bilanz der Umweltgruppen fällt trotzdem weit negativer aus. Vor allem kritisieren sie, daß das Land bei der Umsetzung der Maßnahmen „mächtig in Terminverzug ist“, wie Lars Vogelsang von „Berlin 21“ meint. Die Konzepte hätten bis Ende 1996 abgeschlossen sein sollen. Von einer „konzertierten Aktion“, die der damalige Umweltsenator Volker Hassemer (CDU) 1994 angemahnt hatte, sei nichts zu spüren. Im Gegenteil: Mit dem Verkauf der Energieversorger Bewag und Gasag stärke Berlin die Energiekonzerne, deren Monopole bisher eine Wende in der Klimapolitik nachhaltig verhindert hätten und gebe kommunale Steuerungsmöglichkeiten aus der Hand.

Besonders in der Verwaltung für Bau und Verkehr habe sich wenig zum Klimaschutz getan, so Vogelsang. Weder seien die ökologischen Richtlinien zum Bauen und Planen wie gefordert verabschiedet worden noch sei die gesamte Bautätigkeit in der Stadt mit ihren extremen Material- und Energiekosten und dem daraus resultierenden Kohlendioxidausstoß thematisiert worden. Beim Verkehr habe sich die Situation mit Ausnahme der Parkraumbewirtschaftung eher noch verschlechtert, ist sich Vogelsang mit dem Energiebericht einig. So gehe die Stadtentwicklung weiter von Pendlerströmen aus dem Umland aus und fordere mehr Individualverkehr und Straßen. Das versprochene Fahrradroutennetz lasse ebenso auf sich warten wie ein Verhältnis von 80 zu 20 Prozent zwischen öffentlichem und privatem Verkehr, die Umsetzung des Innenstadtkonzeptes 1998 („mit Kat in die Stadt“) sei fraglich. Der Energiebericht klagt, zum Thema Verkehr gebe es zwar „ambitionierte Absichtserklärungen, aber kaum adäquate Lösungsansätze“. Auf deutsch: viel heiße Luft.

Ein deutliches Signal zur Reduzierung der Klimagase in Kioto könnte der lahmen Klimadiskussion in Berlin wieder Schwung verleihen, hofft Vogelsang. Doch ein fauler Kompromiß werde negative Folgen haben. Wenn eine allgemeine Reduzierung nicht zu erreichen sei, werde die Industrie- und Autolobby die deutschen Beschlüsse zum Klimaschutz als Standortgefährdung anprangern und die Reduktionsziele zurückschrauben. „Wenn die globalen Bremser sich in Kioto durchsetzen, bekommen auch die Berliner Bremser noch mehr Auftrieb.“