■ Schnittplatz
: Quasi Demokratie

Wir haben ja einen Umsetzungsstau in Deutschland, das ist Ihnen also hoffentlich bekannt, das ist eben so. Und Vorsicht: Das Stauende liegt hinter einer Kurve. In der Kurve selbst liegt Wolfgang Joop, der ist derzeit wieder voll auf dem Damm. Mit – lachen Sie nur! – Claudia Schiffer. Der Stern war live dabei, in der Kurve: „Ich will sie streng! Wie eine Wissenschaftlerin“, befiehlt Wolfgang Joop dem Fotografen. Puh, Deutschland, puh Wolfgang, nicht so hastig. Immer langsam. Das Problem ist die Überforderung, andererseits ist Überforderung gut für den Fortschritt, und der ist gut für uns. Gut von uns: Leserbriefe.

Die Leserbriefseite der Bild am Sonntag heißt „Leser schreiben an Bams“. Das ist nicht aus der Luft gegriffen – viele dieser Leserbriefe sind bestimmt gar nicht ausgedacht, sondern tatsächlich (also im Wortsinn und das muß man sich mal vorstellen) von Lesern geschrieben, eingetütet und ausreichend frankiert worden. Dann werden die Briefe schön gekürzt und markig übertitelt. Nun ist das Blatt nicht gerade ein Forum für große Debatten, aber für kleine schon, und so wird ein Brief des Lobes oft neben einen des Protestes montiert. Das ist dann quasi Demokratie. Zum Schluß gibt es immer Dankeschöns von Familien, die sich für den Schlemmerkorb bedanken, der übrigens verdächtig oft nach Ostdeutschland verlost wird. In der Wochentags-Bild ist das anders. Da ist noch weniger Platz, da sind Briefe auf Kasernenhofton zurechtgestutzt: Empörung, selten Lob liegt den Briefen zugrunde. „Die feinen Herren in Bonn“ werden beschimpft. Meistens geht es um Geld. Oder um Deutschland. Oft um beides. Um das Geld von Deutschland.

Da hat sich eine Menge Zorn angestaut bei den Bürgern, die oft auch das Elend konkret machen, indem sie Alter, Vermögensverhältnisse und Bundesland offenbaren, alles auf einmal und in vier Zeilen! Was Sie hier lesen, sind dagegen 70 Zeilen, und schon die reichen nicht für eines Menschen Elend: 22, verarmt landadelig, ohne Weihnachtsgeld und aus Bremen gebürtig. Das können die Herren da oben sich gerne mal hinter ihre Ohren schreiben. Mit dem Rotstift! Benjamin v. Stuckrad-Barre