■ Die Anderen
: Die "Berliner Zeitung" mokiert sich über Lafontaines SPD-Traditionalismus / Die "Frankfurter Rundschau" schätzt Lafontaines Rede anders ein / "Handelsblatt" und die "Neue Ruhrzeitung" beurteilen Lafontaines Rolle skeptischer

Die „Berliner Zeitung“ mokiert sich über Lafontaines SPD-Traditionalismus: Weil sich die Deutschen (West) 40 Jahre geschämt und gefürchtet haben, empfiehlt Lafontaine einen Angst- und Klassen- Wahlkampf. Er präsentiert sich als Anwalt der 900- Mark-Witwe, der in Wahrheit niemand, nicht einmal die FDP, etwas wegnehmen will. Er ignoriert den Leistungswillen der jungen Generation, die ihm kein Wort wert ist – außer einer ökologischen Pflichtübung und der Empfehlung, die Jungen mit den transeuropäischen Verkehrsnetzen zu belasten, auf daß sie es Gevatter Oskar dereinst einmal danken mögen. Ausbildung? Für Lafontaine ist sie bloß ein Thema, weil studentische Protestierer im Saal sind.

Die „Frankfurter Rundschau“ schätzt Lafontaines Rede anders ein: Nach vielen Fehlversuchen wird die SPD wieder geführt. Lafontaine hat mehr geschaffen als einen bloß äußeren Anschein von Geschlossenheit. Mit diesem Chef hat die SPD ein Selbstgefühl zurückgewonnen, das im Zuge der deutschen Vereinigung geschwunden war. Dazu das Sendungsbewußtsein, das unabdingbar ist für einen politischen Wechsel. Und was den künftigen Kanzlerkandidaten der SPD betrifft, hat Lafontaine klargemacht, daß darüber nicht allein die niedersächsischen Wähler abstimmen. Der SPD-Vorsitzende reklamiert nicht nur die Freiheit über diese Entscheidung für sich. Er wird die Entscheidung treffen.

Das Düsseldorfer „Handelsblatt“ beurteilt Lafontaines Rolle skeptischer: Lafontaines Parteitagsrede war eine gewöhnliche Mischung aus einem Weltwirtschaftskolleg und einer rhetorisch scharf gewürzten Einstimmung der Partei auf den Kampf für die „Richtungswahl 1998“. Die sozialdemokratischen Hauptthemen bleiben Arbeit und soziale Gerechtigkeit durch einen Wechsel zu einer sozialdemokratischen Angebots-und-Nachfrage-Politik und einer europäisch-internationalen Politikkoordinierung. Und die Delegierten erlebten einen neuen Weltökonomen, unduldsam und rechthaberisch wie einst Helmut Schmidt, mit dem Lafontaine sonst sowenig gemein hat. Lafontaine hat mit seiner Rede die letzten Zweifel daran ausgeräumt, wer nach seiner Auffassung der eigentliche Wirtschaftsfachmann der SPD ist. Gerhard Schröder bleibt nur der zweite Rang.

Die „Neue Ruhrzeitung“ aus Essen ist ähnlich skeptisch: Oskar Lafontaines Rede war ein Appell, die sozial Schwachen in der Gesellschaft nicht im Stich zu lassen. Damit traf er zweifellos die sozialdemokratische Seele. Ob dies freilich ausreicht, um die schlingernde Koalition in Bonn abzulösen, ist eine andere Frage. So vermißte man, wie die SPD den notwendigen gesellschaftlichen Umbau gestalten will. Es reicht nicht, unter dem Beifall einer begeisterten Basis auszurufen, man werde Rentenkürzungen nicht zulassen.