Radikalkur mit innerbetrieblichem Zwist

■ Hinzpeter-Rauswurf sorgt beim FC St. Pauli für große Aufregung – und klare Fronten

Salbungsvoller hätte die Verabschiedung nicht sein können. Mit Christian Hinzpeter gehe „der Mann fürs Volk“, bedauerte die Bild-Zeitung die Demission „eines echten St. Paulianers“. Das Hamburger Abendblatt winkte dem „Anwalt der Kleinen“hinterher. Und die Morgenpost brandmarkte den „Kleingeist“des Präsidenten Heinz Weisener, der seinem Stellvertreter die Tür gewiesen hatte.

Die Vertreter der organisierten Fans wurden gleichfalls ganz besorgt. „Zur Zeit wüßte ich nicht, an wen ich mich mit Problemen wenden sollte“, klagte Sven Brux vom Fanladen, „mit Christian geht unser Ansprechpartner der letzten zehn Jahre.“In die gleiche Kerbe schlug Holger Scharf von der Arbeitsgemeinschaft interessierter Mitglieder (AGiM): „Hinzpeter war der einzige, der prinzipiell überhaupt ansprechbar gewesen ist.“

Daß die Fan-Funktionäre so reagieren, verwundert nicht. Sie fürchten, in Zukunft noch weniger Einfluß im FC St. Pauli zu haben als jetzt schon. Die Sorgen haben ihre Berechtigung. Ganz offensichtlich will Weisener klar Schiff machen. Der basiskompatible Hinzpeter raus, vielleicht noch Manager Helmut Schulte. Statt dessen nun Wirtschaftsprüfer Robert Ahrens als – momentan – kommissarischer Vize an Weiseners Seite, im Verborgenen werkelt der Aufsichtsratsvorsitzende Hans Apel. Der rechte Sozialdemokrat vom Abstellgleis der Spitzenpolitik ist der richtige Mann für Hinterzimmer-Vereinsarbeit.

Man kann diese Entwicklung schlimm für den Millerntor-Club finden und von einem Verfall der Sitten sprechen. Man kann auch von einer Zäsur reden und – wie es die AGiM tut – fordern, daß „die spezifische Position, die der FC St. Pauli innerhalb der deutschen Profifußballszene einnimmt, nicht verwässert, sondern gestärkt wird“. Man kann aber auch einfach konstatieren, daß Hinzpeters Sturz bezeichnender für den Zustand des Vereins ist als all die Wut der aktiven Anhänger.

Den sozialen, toleranten FC St. Pauli mit seiner ganz besonderen Kultur, als der er gerne immer wieder dargestellt wird, gibt es nicht mehr (vielleicht gab es ihn auch nie, und er war immer nur ein Mythos, eine verklärte Erinnerung). Der „etwas andere Verein“ist ein stinknormaler, und das schon länger, als es viele wahrhaben mögen. Im Kontext des Streits um die Umbenennung der Spielstätte oder die Beschimpfungen eigener Spieler im eigenen Stadion ist die genau kalkulierte Kaltstellung Hinzpeters nur zu stimmig.

Insofern sollten diejenigen, die sich jetzt über den autoritären Stil Weiseners empören („Wollen wahre Gründe erfahren“), dem Vereinschef dankbar sein. Sie wissen nun, woran sie sind und können sich am – aus ihrer Sicht – Raben-Papa Heinz abarbeiten. Auf anhängliche Sentimentalitäten muß keine Rücksicht mehr genommen werden.

Eines sollte jedoch klar sein: Dem allergrößten Teil der Stadionbesucher, der einfach nur die Ware Fußball konsumieren will, ist der ganze innerbetriebliche Gesinnungszwist egal. Die Kirsche soll rein, das Bier schmecken. Mehr nicht. Clemens Gerlach