Zuerst vor der Haustür kehren

■ Beginenhaus, Wohnwege zur Weser, Kulturbahnhof: Projekte der lokalen Agenda 21. Die Neustadt gilt damit als deutscher Vorzeigestadtteil

Bahnhof Neustadt. Das ist da hinten, links der Weser. Da steht am schönen Backsteinbau der Bundesbahn die Uhr um acht Uhr morgens schon auf High noon. Und am Abend fährt die Frau aus der Neustadt lieber gleich bis zum Hauptbahnhof durch, weil das Aussteigen ihr hier zu gefährlich ist.

Gestern mittag aber stand der abgewrackte Stadtteil-Bahnhof kurz im Rampenlicht: Zehn Gäste aus dem Bonner „Arbeitskreis Umweltethik“im Bundesumweltministerium hatten sich eingefunden. Denn in Bonn gilt die Bremer Neustadt – jetzt kommt's! – als eins der drei großen Vorzeigeprojekte der „Lokalen Agenda 21“.

Die Bonner kamen, um sich das mal vor Ort anzugucken. Vielleicht, so hieß es vorsichtig aus dem Kreis, würden sich dann auch mal dieser oder jener Stiftungstopf öffnen, – gehören doch zum Umweltethik-Kreis auch Mitglieder der „AEG“-, „Otto“-, und „Tengelmann“-Stiftung.

Was die „Agenda 21“mit der Neustadt zu tun hat, erklärt Christine Beuerman vom „Wuppertal Institut für Klima Umwelt Energie“. Sie gehörte gestern zum Kreis der Inspektoren und erforscht, was deutsche Kommunen für einen „nachhaltigen“Kreislauf von Arbeit, Wohnen, Umwelt tun. Diesen sanften Kreis ein wenig zum Rotieren zu bringen, sind die Kommunen der Welt seit der Rio-Umweltkonferenz 1992 aufgefordert. Sie sollten bis Ende letzten Jahres alle erste Erfolge vorweisen.

In Deutschland schafften das gerade mal hundert Kommunen. Die Bremer Neustadt hingegen, so befinden die Umweltethiker, die unter Vorsitz von Herlind Gundelach über „Schritte zu einem nachhaltigen Deutschland“diskutieren, die Bremer Neustadt sei ein einzigartiges Vorbild für die „Lokale Agenda 21“. Nirgendwo nämlich sei die Vernetzung von sozialen, kulturellen und ökologischen Initiativen so weit fortgeschritten wie hier.

Seit gut anderthalb Jahren arbeitet in Bremen ein Arbeitskreis des Bremer Runden Tisches 'Agenda 21' an dem Pilotprojekt „Wege zur Neustadt von morgen“. „Natürlich ist es fragwürdig, sich auf einen Stadtteil zu beschränken“, sagt Thomas Lecke-Lopatta, der für den Bremer Umweltsenator in der Arbeitsgruppe sitzt, „vor der eigenen Haustür zu kehren, kann sicherlich nur ein allererster Schritt sein“.

Seine Kollegin Gertraud Gauer-Süß vom „Bremer Informationszentrum für Menschenrechte und Entwicklung“(BIZ) aber betont, daß „die Netzarbeit erste Früchte“trage: Das DRK/Cometgelände am Kirchweg, Ecke Hardenbergstraße ist dem „Beginenprojekt“inzwischen fest versprochen: „In einem Jahr kann der Verein die Halle kaufen“, informierte die Gründerin des Vereins für alleinstehende Frauen, Erika Riemer-Noltenius, die Bonner vor Ort. Dann soll hier ein Wohn- und Arbeitsprojekt für Ärztinnen, Rechtsanwältinnen, Frauen im Kleingewerbe entstehen.

Peter Müller vom BUND kämpft inzwischen mit Neustädter Anwohnern weiter für autofreiere „Wohnwege zur Weser“. Die örtlichen Gewerbetreibenden organisieren einen Bringedienst. Und im Bahnhof Neustadt sitzt „pro art“und rotiert für einen zukünftigen Kulturbahnhof. Ob das nicht auch alles ohne die „Agenda 21“laufen würde? „Vielleicht ja“, sagt Lecke– Lopatta. Vielleicht sei vieles nur alter Wein in neuen Schläuchen, „aber viele Leute aus der einstigen AKW-Bewegung, aus den selbstorganisierten Wohnprojekten, in den Kinderläden und vor allem die Lehrer sind froh, wieder ein gemeinsames Label zu haben.“ ritz