Geschichtsmacher

■ Der 1. Teil des gigantischen Theaterspektakels „Furor – Das Zwanzigste Jahrhundert“feiert im Glashaus Premiere

„Wie kann ich sicher sein in dieser Stadt?“Wer in diesen Tagen so spricht, ist entweder ein altes, BILD-Zeitungs-traumatisiertes Muttchen oder Kulturschaffender. Wer Hans König heißt, erfüllt schon nominell ein zentrales Kriterium für das grassierende Springertrauma nicht. Und wer, wie König, zudem Regisseur eines gigantischen Theaterspektakels namens „Furor. Das zwanzigste Jahrhundert auf deutsch“ist, dessen Ängste gründen offenbar nicht in der Furcht vor gemeinen Handtaschenräubern.

Königs sorgenvolle Frage gilt dem berüchtigten McKinsey-Gutachten und seinen Folgen für die Kulturpolitik der Stadt. Denn momentan ist die Finanzierung des Furor-Projektes, dessen Uraufführung für September 1998 geplant ist, noch völlig offen, und sie wird durch die gegenwärtigen kulturpolitischen Debatten alles andere als sicherer. Aber unabhängig davon, ob es König tatsächlich gelingt, im nächsten Jahr das 20. Jahrhundert in einer dreieinhalbstündigen Inszenierung auf die Bühne zu bringen, kann man an diesem Wochenende bereits einen 60minütigen Vorgeschmack auf das zu erwartende Spektakel genießen.

„Furor Teil 1“feiert heute abend als Voraufführung Premiere. Der Zeitraum von 1900 bis zum Ende des 1. Weltkrieges steht im Blickpunkt dieses ersten Abschnitts, der, so viel steht schon fest, in dieser Form im nächsten Jahr garantiert nicht zu sehen sein wird. „Wir müssen den 1. Teil mächtig eindampfen, damit er noch ins Gesamtkonzept, ein ganzes Jahrhundert zu zeigen, zeitlich hineinpaßt“, sagt König.

„Heimat“, „Identität“und „Nation“– anhand dieser Themenfelder möchten die 30 SchauspielerInnen des Furor-Teams die Anfänge des Jahrhunderts beschreiben. „Unser Ansatz ist ein massenpsychologischer“, erklärt König. „Uns interessiert beispielsweise, wie das Bedürfnis nach Heimat entsteht, wie Menschen durch gesellschaftliche Konventionen geprägt werden und welche Selbstverleugnungen nötig sind, um diesen Konventionen genügen zu können.“

Was sich ziemlich theoretisch anhört, wird auf der Bühne sehr anschaulich umgesetzt. Videos und Dias projizieren zeittypische Bilder und Szenen an die Wand, auf verschiedenen Bühnen werden idealisierte Milieus und Typen in Szene gesetzt: Der Arzt, der Arbeiter, die Kleinbürgerin, der Gendarm. Anhand dieser Figuren und ihrer Veränderungen im Laufe der Jahre sollen Geschichte und ihre gesellschaftlichen und ökonomischen Bewegungstendenzen erfahrbar gemacht werden. Da die Inszenierung auf Dialoge weitgehend verzichtet, kommt der Musik eine tragende Funktion zu. Dirk Piezunka und Uli Bösking haben speziell für Furor Stücke geschrieben. zott

„Furor 1900-1918“ist heute, morgen und Sonntag ab 20 Uhr im Kulturzentrum Lagerhaus (Glashaus). Beginn: 20 Uhr. Warme Sachen einpacken, die Spielstätte ist ziemlich luftig!