Zwischen den Rillen
: Geil und scheiße

■ Die große Rock'n'Roll-Windel: Punk um Die Ärzte, noch mehr Punk von Green Day

Punkrocker zu sein ist natürlich total scheiße. Denkt man, wenn man bei Tages- oder Neonlicht jemanden trifft, der es ein paar Jahre lang ernst gemeint hat mit Punk. Bier statt Schlaf, zuviel von allem. Das ist die eine These. Punkrocker sein ist natürlich auch – und das ist die Antithese – vollkommen geil. Die Argumente hierfür sind ungefähr dieselben. Eine Synthese: Eigentlich hat jede Punkband irgendwann mal einen guten Moment. Aber wenn Punkrock en vogue ist, führt er sich selbst in die Hitparaden und parallel geradewegs ad absurdum. Was ja auch wieder Punk ist, auf eine Art. Und eins weiß man bestimmt mit Blick auf zwanzig Jahre Punk(rock): Der kommt wieder, ist nie ganz weg, ein zäher Bursche. Jede Saison gebiert Hunderte neuer Bands, die das gleiche spielen, singen, behaupten und im Prinzip auch gleich aussehen: geil und scheiße.

Always being nonambitious – das ist wohl entscheidend. „I've always liked simple Rock“ hat Lennon gesagt, und es wohlweislich unterlassen, solches selbst zu tun. Punkrock ist eben auch: den Abwasch machen, dreckige Sache. Die Kunst geht baden oder kacken, das kommt auf die Sichtweise an.

Hat Deutschland Punkrocker? Formal gewiß. Sehr bekannt sind die Toten Hosen und Die Ärzte. Ist aber schon „Kommerz“, rufen da Leute, die sich und ihre Vergangenheit hassen. Schlimm an Herrn Campino ist manches, seine Musik nimmt da keine Spitzenposition ein, die ist manchmal okay und zuweilen Punkrock. Deutlich schlauer sind aber Die Ärzte. Die haben mittlerweile eingesehen, daß sie aus dem Moloch nicht mehr herauskommen, in dem es obendrein ganz behaglich ist. Viva liebt dich. Ansonsten sind Die Ärzte das Jahr über still, und das unterscheidet sie angenehm von den Toten Hosen.

Das Tribut-Album, das der Inzest der Viva-Streber ihnen nun widmete, ist damit erklärbar. Ärzte, da kann man nix gegen sagen. Und so erweisen die Fantastischen Vier, Fury in The Slaughterhouse, Mr. Ed Jumps the Gun, Fettes Brot und auch Lucilectric den Ärzten auf der „Götterdämmerung“ die Ehre der Interpretation. Ist denn das Punkrock? Nein. Viele Schlager, manche mit lauten Gitarren. Aber die Attitüde? Die vielleicht. Und im Zweifel überwiegt das Ja, ist das ja Punk.

Dann sind da auch noch mitteltragische Unternehmen namens Terrorgruppe, Wizo, Prollhead oder Schweisser – allesamt Gruppen, die so aussehen und sind, wie sie heißen. Und die immer einige Ligen unter den Ärzten spielten und allezeit spielen werden (wenn ihnen das Geld nicht ausgeht). Dabei sind sie so stolz dabeizusein, doch, laute Männer, höret: Viel hilft nicht viel. Da ist er dann allenfalls noch die große Rock'n'Roll-Windel, der Punkrock.

Punk ist eine Formalie, zunächst: Das Cover zeigt Die Ärzte an Kreuzen baumelnd und ihre vorletzte Platte hieß gar „Planet Punk“. Es scheint, als könne Punk heutzutage bloß noch als Humoreske funktionieren. Die Ärzte sind eigentlich Dieter Thomas Heck für manche (nicht wenige) Menschen unter 20. Prima und scheiße zugleich, dabei nicht würdelos, bloß konsequent. Es ist auch weder sinnvoll noch möglich, diese Künstler, diese Phänomene von der Piste schießen zu wollen.

Von solcher Unantastbarkeit sind Green Day noch entfernt. Nach dem jenseitig erfolgreichen „Dookie“ 1995 war die Richtung klar: nun hübsch bergab, mehr geht ja nicht. Mit „Nimrod“ haben Green Day jetzt die vierte Platte in Folge aufgenommen, die eine recht gute, recht punkrockige ist. Die ordentlich laut in Ordnung geht. Die nichts anderes kann, die man aber auch fair behandeln muß – mehr will diese Platte nicht, und die erwartungsgemäßen Verkaufseinbrüche sind nichts weiter als die Realität, der Ausreißer war „Dookie“. Schierer Zufall, eben so, wie es zirka alle vier Jahre einer Punkrockband passiert, wenn gerade mal wieder eine Generation 16 geworden ist. Es ist einen Winter lang der Smasher der Eingeweihten, einen Sommer über der Soundtrack der Zeltlager und Abiturbesäufnisse, und einen Herbst lang noch verästeln sich schüttere Endmoränen auch auf das entlegenste Dorf und vielleicht zu Weihnachten auch auf den Kuschelrocksampler, das kann passieren. Die Jugend ist zum Glück unsentimental, das ist das beste an ihr.

Denn in der Stadt möchte im Winter schon keiner mehr den Quatsch hören. Es gibt dann neuen Quatsch. Die Plattenfirma von Greenday preist etwas hilflos die „international überragende Band des Jahrzehnts“ und die Musik als „unangreifbar, ein komplett eigenes Ding“. Das ist genau falsch und völlig unnötige Quasselei. Die Band möchte man sehen, die dieses erratische Jahrzehnt überragt, und am Ende sind es ja doch nur wieder die Stones. Nun ist es Winter, und wir warten. Es ist ja auch ein schöner Kellertreppenwitz, daß der größte – der einzige! – Hit von Bad Religion im Refrain jubelt und klagt: „This is just a punkrock-song“. Punk um.

Gut am Popbetrieb ist: Die Menschen werden immer weniger nachtragend. In jeder Hinsicht – die Halbwertszeit von Punkrockern im Visier der Öffentlichkeit halbiert das. Die im richtigen Leben verdoppelt es ungefähr. Denn Punkrock an sich ist ja ungesund; gleichwohl nicht ungeil. Benjamin v. Stuckrad-Barre

Verschiedene: „Götterdämmerung“, Tribut an Die Ärzte (Alternation)

Green Day: „Nimrod“ (WEA)