Studenten als Goliath gegen Rüttgers

■ Täglich gehen mehr Menschen auf die Straße, um mit der Bildungspolitik abzurechnen. Ihre Parolen kommen an. Bafög für alle - das fordert mittlerweile auch die Mehrheit der Kultusminister. In Berlin sol

Gut 140.000 Studierende gingen gestern auf die Straßen. Und brachten Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) in die Rolle des David gegen Goliath. Rüttgers lehnte laut Frankfurter Rundschau das allseits akzeptierte Bafög für jeden Studierenden ab. Er setzte der Kultusministerkonferenz das Ultimatum, bis 10. Dezember ein einheitliches Bafög-Modell vorzulegen – ansonsten platze der Bafög-Gipfel zwischen Kanzler und Ministerpräsidenten vor Weihnachten. Die Bafög-Koordinatorin der Kultusministerkonferenz, Helga Schuchardt, wies dies als „Erpressungsversuch“ zurück.

„Rüttgers ist ein unseriöser Partner, der mir fast leid tut“, sagte die niedersächsische Wissenschaftsministerin. Unter den Kultusministern bestehe „eine eindeutige Mehrheit“ für das „Drei-Körbe-Modell“. Rüttgers lehnt dieses Modell aus „grundsätzlichen Erwägungen“ ab. Das von SPD und Kultusministern favorisierte Modell sieht vor, allen Studierenden Zugang zu einem Sockelbetrag von 350 bis 400 Mark zu verschaffen (Korb 1). Darüber hinaus sollen Studierende aus sozial schwachen Familien aus Korb 2 ihr Bafög auf rund 1.200 Mark aufstocken können. Korb 3 steht für eine Studienabschlußförderung auf Darlehensbasis.

Auch der bayerische Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) wies Rüttgers Drohung zurück. „Wir sind nicht gut im Akzeptieren von Ultimaten.“ An Bayern soll das Modell nicht scheitern. Ulrike Gonzales, Sprecherin des studentischen Dachverbandes fzs, sagte, „das Rüttgers-Ultimatum läuft darauf hinaus, das Bafög ganz abzuschaffen“. Sie erneuerte die Forderung, ein „elternunabhängiges und bedarfsdeckendes Bafög einzuführen“. Dies sei bei einem Studienzuschuß von 1.250 Mark gegeben und müsse mit der Einführung einer staatlichen Grundsicherung einhergehen, meinte fzs-Sprecherin Gonzales.

Seit Jahren mahnen das Deutsche Studentenwerk, Gewerkschaften und Kultusminister eine Bafög-Reform an. Rund 2,7 Milliarden Mark hätten Bund und Länder in den vergangenen Jahren gekürzt, teilte das Studentenwerk mit. Derzeit erhalten laut Sozialbericht des Studentenwerks nur noch 14 Prozent der Studierenden staatlichen Unterhalt. In Großstädten ist die Quote inzwischen auf sieben Prozent gesunken.

In Berlin zeigte der Protest einen ersten Erfolg. Der Präsident der Humboldt-Universität, Hans Meyer, der als erster Uni-Chef bundesweit einen Finanzierungsvertrag mit dem Land abgeschlossen hatte, will erneut darüber verhandeln. Die Verträge sichern den Berliner Hochschulen zwar feste Landeszuschüsse bis zum Jahr 2000 zu, doch auf extrem niedrigem Niveau. Im Zeitraum zwischen 1997 und 2003 müssen sie knapp eine Milliarde Mark einsparen, rund ein Drittel ihres Gesamtetats. Damit wird faktisch eine der drei Berliner Universitäten weggekürzt. Vor dem Hintergrund des Uni-Streiks will jetzt auch der Präsident der Technischen Universität, Ewers, mehr Geld vom Berliner Senat fordern. Allein an der Freien Universität lehnte der Akademische Senat gestern eine Neuverhandlung der Sparpläne ab. Als die professorale Mehrheit die Halbierung der Personalstellen beschließen wollte, sprengten Studierende die Sitzung.

Die Hochschulverträge zwischen dem Land Berlin und den Universitäten verbinden feste Budgetzusagen mit Reformanstrengungen. Die Unis verpflichten sich, Studienreformen voranzutreiben, Doppelangebote abzubauen und die Haushaltsführung durch eine Kosten- und Leistungsrechnung zu ergänzen. cif/noel/rab