Alle Details wahrgenommen

■ Gutachter: Angeklagter im Natalie-Prozeß ist voll schuldfähig. Staatsanwalt: "lebenslänglich"

Augsburg (taz) – Schlechter hätte es für den Angeklagten im Mordfall Natalie nicht laufen können. Beide Gutachter kamen gestern zu dem Schluß, daß Armin Schreiner voll schuldfähig ist.

Die Professoren Henning Saß und Reinhard Wille hatten sich sehr ausführlich mit der Persönlichkeitsstruktur des Beschuldigten auseinandergesetzt. Beide bezeichneten Schreiner als aggressiven Sexualtäter, der seine sexuellen Niederlagen bei seiner Freundin an kleinen Mädchen auslasse. Sein Selbstbild stimme nicht mit der Wirklichkeit überein, er sei quasi das Gegenteil dessen, was man in Bayern als „gestandenes Mannsbild“ bezeichnet. Die Gutachter halten ihn für rückfallgefährdet. Gefühle des Zurückgesetztseins könnten sehr schnell in eine aggressive Frustrationsstimmung umschlagen. Schwachsinn oder eine krankhafte Neigung zu einer sexuellen oder wie auch immer gearteten Abhängigkeit sei auszuschließen.

Es sei aber eine gewisse Diskrepanz zwischen dem Selbstbild von Schreiner und dem Fremdbild, also wie andere ihn sehen, erkennbar. Sich selbst schätze der Angeklagte als einen männlichen, sexuell sehr positiven Typen ein. Er habe sich als muskulös bezeichnet, was nicht gerade seinem Erscheinungsbild entspräche. Tatsächlich aber sei er unsicher und im höchsten Maße verletzlich. Schreiner habe schon sechs bis acht Wochen vor der Tat wieder Gedanken an sexuellen Mißbrauch entwickelt. Angesichts fünf vorangegangener Fälle und einer, wenn auch nicht abgeschlossenen Therapie, habe er sich aufraffen und einen Therapeuten informieren müssen. „Es gibt keine Hinweise darauf, daß er sich bei der Vorbereitung der Tat in einer psychischen Ausnahmesituation befunden hat“, sagte Sachverständige Saß. „Im Gegenteil, er hat ein gutes Gedächnis und alle Details wahrgenommen.“

Der leitende Oberstaatsanwalt Jörg Hillinger sah sich durch die Gutachteraussagen bestätigt. Wenn im Falle einer Verurteilung auch klar und deutlich zum Ausdruck komme, daß es sich um einen aggressiven Sexualtäter handle, und wenn die Aussagen der Gutachter berücksichtigt würden, daß ein Rückfall nicht auszuschließen sei, könne eigentlich nur auf „lebenslänglich“ erkannt werden. Rein rechtlich sei die vielfach geforderte Kombination „lebenslang“ und Sicherungsverwahrung nicht möglich. Klaus Wittmann