„Schröder ist der Kandidat für Rot-Grün“

■ Das Beschwören traditioneller Werte reicht nicht, sagt der Politikwissenschaftler Peter Lösche

taz: Herr Lösche, der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine fordert einen fundamentalen Wandel in der Wirtschaftspolitik. Will das die Wirtschaft auch?

Peter Lösche: Das glaube ich nicht. Ganz im Gegenteil. Das sind alte sozialdemokratische Positionen, die Lafontaine vertreten hat, um die Partei zu integrieren. Das macht auch Sinn. Aber es war kein Schritt, um Regierungsfähigkeit auszuweisen. Es war keine Zukunfts-, es war keine Wirtschaftskompetenz. Darin muß sich aber die SPD ausweisen, wenn sie die Wahlen gewinnen will.

Welche Bedeutung hat denn die Wirtschaftskompetenz für die Mehrheitsfähigkeit der SPD, ist der wirtschaftspolitische Antrag ein solcher Ausweis?

Man muß zwischen Programmatik und dem Image unterscheiden. Relativ irrelevant ist, was in den Anträgen beschlossen wird. Entscheidend ist das Image: Kann die Partei Wirtschaftspolitik machen, hat sie Zukunftskompetenz? In der Beurteilung der Wirtschaftskompetenz liegt die SPD mittlerweile mit der CDU gleichauf. Das liegt unter anderem daran, daß Schröder als Person das entsprechende Image hat. Bei der Zukunftskompetenz liegt die SPD sogar vor der CDU. Diese Chance könnte durch diesen Parteitag aber verspielt werden.

Was sie traditionelle Werte nennen, ist für den Parteitag hochaktuell. Warum soll die Botschaft, der Reichtum ist vorhanden, er muß gerechter verteilt werden, nicht mehrheitsfähig sein?

Mit dem Beschwören solcher Werte kommt man nicht weiter. Jeder hat den Eindruck, daß wir ganz unkonventionelle Strategien versuchen müssen, wie sie in anderen Ländern Europas durchaus erfolgreich realisiert werden. Es fehlt der SPD das, was sie plakatiert: das Neue, das Innovative.

Für Rudolf Scharping ist der Parteitag bereits der erste einer langen Regierungszeit.

Die Wahlen sind keineswegs entschieden. Die Regierung hat eine ungeheure Schwäche, welche die SPD nutzen müßte, aber nicht zu nutzen vermag. Sie müßte sich profilieren.

Nimmt die CDU Lafontaine beim Wort, ist kaum mit einer Großen Koalition zu rechnen.

Das glaube ich nicht. Ich habe eine ganz unkonventionelle These: Lafontaine ist der Vizekanzlerkandidat einer Großen Koalition. Er würde Stimmen von den Grünen gewinnen, eine solche Wählerbewegung läßt sich durch Umfragen ausweisen. In der Mitte würde hingegen nichts gewonnen. Rot-Grün hätte keine Mehrheit. Mit der PDS würde die SPD nicht regieren. Es bliebe nur die Große Koalition mit Schäuble als Kanzler und Lafontaine als Vizekanzler.

Schröder wäre hingegen derjenige, der am ehesten Stimmen in der Mitte gewinnen kann. Dann könnte es für Rot-Grün reichen. Schröder ist der Kandidat einer rot-grünen Koalition.

Wirken die beiden in gleicher Weise auf das SPD-Milieu?

Die SPD hat ein ziemlich heterogenes Wählermilieu. Es reicht vom Yuppie bis zum Facharbeiter. Hier auf dem Parteitag ist nur eines, das traditionelle Milieu angesprochen worden.

Wer schafft es eher, die Stammwähler zu mobilisieren?

Insgesamt spricht Lafontaine eher die Traditionswähler, die angelernten und ungelernten, die Facharbeiter an. Doch dieses Milieu schrumpft. Damit bleibt man bei 33 Prozent.

Auch wenn man die Nichtwähler mobilisiert?

Das reicht nicht mehr aus. Man muß das traditionelle Milieu mobilisieren, das wäre Lafontaines Rolle. Und man muß in die Mitte bei den Wechselwählern wirken. Deren Anteil ist ziemlich groß. Schröder wäre derjenige, der sie anspricht, nicht Lafontaine.

Ihr Dream Team ist also Lafontaine als Parteivorsitzender und Schröder als Kanzlerkandidat?

Genau. Ohne die Personen vergleichen zu wollen, läßt sich sagen: Das war die Aufgabenteilung zwischen Willy Brandt und Helmut Schmidt.

Der Parteitag hat sich mit dieser entscheidenden Personalie nicht beschäftigt, der nächste braucht sich nicht mehr damit befassen. Nicht gerade ein Ausweis innerparteilicher Willensbildung.

Parteitage sind nur nach dem Statut die wichtigsten Organe. In Wirklichkeit sind sie Bühnen der Medieninszenierung. Entscheidungen fallen woanders, in den Fraktionen oder innerhalb der Parteispitze. Darüber sollte man nicht jammern, sondern nach Alternativen suchen.

Die SPD könnte sich ein Beispiel an der Labour Party nehmen. Dort entscheiden die Mitglieder, der Parteitag und die Fraktion über Parteivorsitz und Premierministerkandidatur. Interview: Dieter Rulff