Analyse
: Balsam für die Seele

■ Netanjahus Besuch in Oggersheim kann die Nahost-Krise nicht vertuschen

Viele Freunde hat Israels Ministerpräsident nicht mehr. Den Versuch, US-Präsident Bill Clinton zu treffen, hat Netanjahu jedenfalls jetzt selbst aufgegeben. Auch seine Glaubwürdigkeit steht in Frage. Die israelische Presse bezichtigt ihn öffentlich und ungestraft der Lüge. Selbst die eigenen Minister mißtrauen seinen Worten. Von parteiinternen Revolten gebeutelt und den Groß-Israel-Protagonisten in der Knesset bedroht, kommt die Einladung ins pfälzische Oggersheim gerade recht. Sie ist Balsam für die verwundete Seele des israelischen Ministerpräsidenten. Doch trotz dieser protokollarischen Ehre weiß Netanjahu, daß äußerste Vorsicht geboten ist. Seine Politik gegenüber den Palästinensern und seine Sabotage des Friedensprozesses werden auch in Bonn nicht mehr kritiklos hingenommen.

Helmut Kohl dürfte dank seiner Selbsteinschätzung als Staatsmann von europäischem, wenn nicht sogar Welt-Format auch gegenüber Netanjahu mit Ratschlägen nicht geizen. Die Verwandlung des Westjordanlandes in ein palästinensisches Bantustan, wie jetzt von der israelischen Regierung für die Abschlußverhandlungen ins Auge gefaßt, muß Kohl schon aus wirtschaftlichen Erwägungen ablehnen. Die von Bonn geleistete finanzielle Hilfe an die Palästinenser wäre für die Katz. Kohl wird Netanjahu gewiß auch raten, den eigentlich bereits für den vergangenen Monat vorgesehenen zweiten Teilrückzug israelischer Truppen aus dem Westjordanland großzügiger zu gestalten, als die von Israel bislang angebotenen sechs bis acht Prozent. Zumal der im Hebron-Abkommen verbindlich vereinbarte erste Teilrückzug bereits ausgefallen ist, weil die Palästinenser die damals von Israel angebotenen neun Prozent des Westjordanlandes als Demütigung ablehnten. Das Problem ist freilich, daß Netanjahu gegen gute Ratschläge immun ist.

Die USA drohen laut israelischen Zeitungsberichten inzwischen damit, die Proklamation eines palästinensischen Staates zu befürworten und Netanjahu mit einem entsprechenden Ultimatum unter Druck zu setzen. Helmut Kohl wird dies ohne Zweifel Madeleine Albright überlassen, die Netanjahu am Wochenende in Paris trifft. Doch die wirtschaftliche Rolle Deutschlands und der EU für Israel und den gesamten Nahen Osten kann auch Netanjahu nicht ignorieren. Bonn könnte als neutraler Vermittler zwischen Israelis und Palästinensern eine größere Rolle spielen als in der Vergangenheit. Vielleicht sollten die USA das zulassen, ehe sie sich auf einen aufreibenden Konflikt mit der israelischen Regierung, dem US-Kongreß und Teilen des US-amerikanischen Judentums einlassen. Dazu bedürfte es allerdings auch der Bereitschaft auf israelischer Seite. Georg Baltissen