Keime statt Kompost

In der Bio-Tonne lauern Salmonellen, Schimmelpilze und Bakterien: Müllwerker leiden unter Allergien und Asthma  ■ Von Heike Haarhoff

Schleimspuren im Zickzack bis zum Mülleimerdeckel. Darunter lauern die Nacktschnecken, die Maden und die Käfer. Warten, bis der Müllmann die Tonne leert und sie erlöst – aus diesem gruseligen Plastikbehälter, in dem es schwitzt, gärt und reagiert. Je nach Abfallart in Gelb, Grün oder Schlammfarben. Im Sommer ganz besonders geruchsintensiv.

„Bio-Tonnen?“Der Müllmann winkt ab. „Das Widerlichste, was uns diese Öko-Fanatiker je beschert haben.“Statt des gewünschten Komposts produzierten die fast luftdicht abgeschlossenen Abfalleimer stinkige Brühe, Insektenlarven, Würmer, Salmonellen, Schimmelpilze und Bakterien. „Umgehauen“habe diese Recyclingwirtschaft schon so manchen Kollegen.

Allergien, Atemwegs- und Durchfallerkrankungen haben in den vergangenen zehn Jahren zugenommen, bestätigt das Hamburger Amt für Arbeitsschutz. Aber auch Hautkrankheiten und Hepatitis. In den Sortieranlagen für grün gepunkteten Plastikmüll und den „Biologisch-mechanischen Restmüllbehandlungsanlagen“sei das Risiko im Umgang mit biologischen Stoffen, also mit Mikroorganismen wie Pilzen, Viren und Bakterien, besonders hoch.

Die „Anstrengungen zur Förderung der Wiederverwertung von Abfällen“seien eben „beträchtlich“, referierte jüngst der Hamburger Arbeitsschützer Gregor Buschhausen-Denker auf einer Tagung zu „Biologischen Arbeitsstoffen und Arbeitsschutz“in Hamburg. Bis zur Jahrtausendwende solle mindestens die Hälfte des Mülls aus ganz Europa wiederverwendet werden. Bisher kaum berücksichtigt, räumt er ein, blieben dabei die Gesundheitsgefahren für die Beschäftigten.

Vor allem beim Sammeln und Sortieren des Hausmülls ist Obacht geboten. Nach einer dänischen Studie erkrankten zehn von 15 Arbeitern in einer Sortieranlage für Haus- und Industriemüll, die organischem Staub ausgesetzt waren, an Allergien oder Bronchialasthma. Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten in der Abfallwirtschaft oder in Laboratorien seien aber die Ausnahme, klagen Arbeitsschützer. Zwar hat die Europäische Union 1990 eine „Richtlinie zum Schutz der Arbeitnehmer vor biologischen Arbeitsstoffen“erlassen, doch Bonn hat die Brüsseler Initiative noch nicht in deutsches Recht umgesetzt. Daher, so Buschhausen-Denker, gebe es nicht einmal Orientierungswerte für Firmen und Arbeitsschützer.

Betroffen von der „biologischen Gefahr“sind derweil viele: In Hamburg arbeiten rund 4000 Menschen in den neuen Wirtschaftszweigen wie Bodensanierung, Abfall- und Abwasserbehandlung. Bundesweit gibt es etwa 4000 Abfallwirtschaftsbe-triebe mit rund 1,6 Millionen Beschäftigten.

Doch den meisten sind die Krankheitsgefahren, denen sie täglich ausgesetzt sind, gar nicht bewußt, bemängelt Sabine Groner-Weber vom ÖTV-Hauptvorstand Stuttgart. Als Grund nennt die Gewerkschafterin die „hohe Fluktuation“: Müllmänner wechselten so oft den Einsatzort oder die Tätigkeit, daß sie die – kurzfristige – Belastung häufig unterschätzten. Und: „Niedrige Qualifikation und Sprachprobleme der Beschäftigten erschweren die Weitervermittlung von Arbeitsschutzwissen.“

Nichts Genaues weiß man nicht über Keime und ihr Risiko: Ab welcher Konzentration werden sie gefährlich, wann ist diese erreicht? Viel, so Sabine Groner-Weber, hänge ganz profan davon ab, wie lange die Müllfraktion schon vor sich hingerottet habe, bevor der Arbeiter mit ihr in Kontakt komme. Quantitative Untersuchungen über die Sporenkonzentration in der Luft sind sehr aufwendig und zeitintensiv, weil die Keime erst kultiviert werden müssen. Bis die Ergebnisse vorliegen, haben viele Saisonarbeiter im Müllgeschäft längst ihren Einsatzort gewechselt.

Die Infektionswege sind überdies schwer rekonstruierbar. Und auch die Symptome, die auf die Belastung mit Mikroorganismen und Staub zurückgeführt werden können, sind unterschiedlicher und eher unspezifischer Natur: Meist ist es nicht möglich, eindeutige Korrelationen zwischen Belastungen und Symptomen nachzuweisen. Grenzwerte für einzelne Keime hält die ÖTV daher für sinnlos; besser sei es, solche für Keimgruppen festzulegen.

Doch selbst dort, wo arbeitswissen-schaftliche Erkenntnisse bereits vorlägen (daß Schimmelpilze zum Beispiel Atemwegserkrankungen hervorrufen können), würden selten Messungen der Schadstoffkonzentrationen durchgeführt, werde „unter dem Druck des Wettbewerbs am Arbeitsschutz gespart“, würden deswegen Grenzwertüberschreitun-gen billigend in Kauf genommen. Viele Beschäftigte trauten sich nicht, Anzeige zu erstatten, aus Angst, andernfalls den Job zu verlieren. Auch um Kostenvorteile für das Unternehmen herauszuschinden, würden Arbeitsschutzauflagen mißachtet.

Die Hamburger Behörde für Arbeit und Gesundheit fordert in ihrem Arbeitsschutz-Jahresbericht 1996, in Abfall-Sortieranlagen belüftete Sortierkabinen einzurichten. In Waschräumen müßten strenge Hygienevorschriften eingehalten werden. Außerdem sollen die gelben Säcke, in denen der Plastikmüll auf die Sortierbänder gelangt, künftig nur noch durch automatische Sackaufreißer geöffnet werden. Denn: „Eine erhöhte Infektionsgefahr kann von fälschlicherweise ins Sortiergut gelangten Abfallmaterialien wie Kanülen oder geöffneten Abfalldosen aus Arztpraxen ausgehen.“Keime können auch „durch Fehleinwürfe wie Windeln ins Sortiergut gelangen“.