Wand und Boden
: Schießsport

■ Kunst in Berlin jetzt: Peterman, Hauser, Morrisroe

Da fahren Tausende von Autos die Autobahn lang, die Fahrer halten zwischendurch an den Rastplätzen, werfen ihre Wasserflaschen und anderen Plastikmüll in die Tonnen, es kommt die Müllabfuhr und das große Recycling: Und dann stehen irgendwann genau auf diesen Rastplätzen hübsche, graue und ziemlich massive Plastikeinheiten, in denen ein Tisch mit zwei Hockern verbunden ist, an denen man Picknick macht, ohne zu wissen, daß man auf einem Kunstwerk aus „reprocessed post-consumer plastic“ sitzt.

Solch ein Szenario fällt einem leicht ein, wenn man Dan Petermans „Running Table (Segments)“ gegenübersteht. Obwohl die vier Module in der leer geräumten Galerie Klosterfelde eine strenge und elegante Raumplastik ergeben, kommt man von der Idee des Autobahnrastplatzmöbels nicht so schnell los. Das neue Material, das aus dem alten entstand, fühlt sich merkwürdig glatt, seifig, ja fast feucht an. Man ist sich nicht sicher, ob man es gerne anlangt, obwohl man gerne dranlangt. Die Visualisierung moderner Recycling- und Umschmelzungsprozesse in skulpturale Module ist seit Jahren das Thema des amerikanischen Künstlers, wobei er jetzt ziemlich radikal auch Rattenlöcher wiederverwertet, indem er sie mit Zement ausgießt, was eine dicke Steinblase ergibt. Außerdem läßt er den Pilz „Coprinus comatus“ ansprechende Blätter drucken.

Bis 20.12., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Linienstraße 160

„Wir sind doch in allem Leute von Welt – Sex, freie Rhythmen, Schießsport“ –, die private Lektüre, Nabokov, um genau zu sein, paßt gut zu den fünf Reliefs, die in übersichtlicher Hängung an den Wänden der Zwinger Galerie zu betrachten sind. Tobias Hauser hat die Griffschalen berühmter Handfeuerwaffen zu monumentalen Torsi vergrößert, indem er sie aus Lindenholz nachschnitzte, farbig beizte, polierte und auf edle Stahlblechträger setzte. Ganz genau gesagt: Vier Objekte gelten bekannten Namen wie Smith & Wesson, Luger, Hämmerli und Woodsman. Die fünfte Griffschale gehört zur Künstlerwaffe „Arbiter“, einer Entwicklung der „Hauser- Werke“ mit ihrem Logo, in dem drei abgesägte Tannenbäume lustig über ihren Stümpfen schweben. Hinzu kommt das durch die Zündung verformte Bodenstück einer Patronenhülse, das die individuelle Waffe identifizierbar macht.

Der Griff ist der letzte Handgriff an der industriell gefertigten Waffe und das Holz der Ort für die Kunst, den Schmuck, die handschmeichlerische Wärme der Kultur, die den kalten Stahl umgibt. Indem aber Hauser die Größe des Woodsman-Colts so stark aufbläst und dem Holz ein schwarzglänzendes Finish gibt, tendiert die Sache schon wieder ins Lächerliche der Werbeplastik. Was Handarbeit ist, sieht dann fast wie Plastikguß aus. Hauser goes Pop.

Bis 31.1., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–17 Uhr, Gipsstraße 3

Seine Mutter war Prostituierte. Mit dreizehn Jahren haute er von zu Hause ab und schlug sich als Strichjunge durch. Als er sechzehn war, schoß ihm jemand in den Rücken. Zu dieser Zeit gab er das Dirt-Magazine heraus. Zwei Jahre später begann er am Boston Museum of Fine Arts Fotografie zu studieren. Mit dreißig starb Mark Morrisroe an Aids.

Morrisroe hatte also kaum zwölf Jahre, seine eigene fotografische Sprache zu entwickeln, in deren Zentrum er ganz klar die Inszenierung seines schönen Körpers und Gesichts stellte. Mit Akt- und (Selbst-) Porträtaufnahmen läßt sich sein Werk umreißen, das die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst in der Reihe „Unterbrochene Karrieren“ vorstellt. In einem komplizierten Dunkelkammerverfahren, bei dem er ein Farb- und ein Schwarzweißnegativ übereinanderblendete, entstanden erstaunliche Farbaufnahmen, die zwischen dem Piktoralismus der Jahrhundertwende und dem aggressiven Undergroundsound der Reportagefotografie der sechziger und siebziger Jahre oszillieren und auch an zerkratztes, fehlerhaftes Cinemascope erinnern.

In diesen großen Farbabzügen wie in seinen Polaroids bewegt sich Morrisroe ganz radikal im häuslichen Bereich. Er zeigt sich, seine Freunde und Freundinnen im Türrahmen stehend, in der Badewanne liegend, auf das Bett drapiert, passiv, ruhig, rauchend, transvestitisch verkleidet, halb nah. Seine Bilder haben einen eigentümlichen Charme, wie eine eigentümliche Härte und Brutalität: „The sweetest girl that I ever kissed was married to another man. My mother.“

Bis 11.1., tägl. 12–18.30 Uhr, Oranienstraße 25 Brigitte Werneburg