Berliner Ökonomie
: Baseball in Westerstede

■ Lüko Becker oder Auf was man zur Eröffnung eines Anwaltsbüros achten muß

Ein Gespenst geht um in der Welt, das Gespenst der Globalisierung. Kein Tag ohne Schreckensnachrichten über den Terror der Ökonomie. Zeit für einen lokalen Gegenzauber. In dieser Kolumne werden Wirtschaftsformen erkundet, die einer eigentümlichen Ökonomie des Scheiterns folgen. Der Autor Helmut Höge hat ein untergründiges Bestreben des Wirtschaftssubjekts nach kalkuliertem Verlust entdeckt, eine Art Scheitern aus Prinzip. Die Berliner Ökonomie wird fortgesetzt.

Der autonome Kreuzberger Baseballspieler hatte einst seine juristische Examensarbeit über einige Rechtsprobleme in Brechts „Dreigroschenoper“ geschrieben. Nach bestandener Vorbereitungszeit beim Kammergericht kritisierte er in einer Art ABM und im Auftrag der SPD die Verfassungskonformität des PDS-Parteiprogramms. Die Strafe folgte auf dem Fuße: 1996 verkündete er in der Endart-Galerie Oranienstraße, daß er dort inmitten der schockierenden Kunst eine Anwaltskanzlei eröffnen wolle, wobei er sich auf Sport- und Kunstfälle spezialisieren werde. Wir verstanden: Gewalt und Pornographie! – Und waren's zufrieden. Dann verzögerte sich jedoch seine Zulassung bei der Anwaltskammer. Man hielt ihm vor, eine Verurteilung im Fragebogen nicht angegeben zu haben. Er hatte 1992 in seinem Heimatort Westerstede mit einem Freund, der wie er Mitglied des Baseballvereins „Ammerland Judges“ war, nachts auf der Straße Baseball gespielt. Aus einer Kneipe kommende Zeugen hörten dann, daß „es während des Spiels klirrte. (...) Ein Baseball sowie ein Schläger befanden sich im Plus-Markt“, so stand es im Urteil des Amtsgerichts, das Lüko Becker zu 15 Tagessätzen à 25 Mark verurteilte.

„Ich wollte nichts verschleiern“, versicherte er daraufhin der Anwaltskammer. Die Verurteilung hätte er bereits während seiner Ausbildung der Kammergerichtspräsidentin „gemeldet“, und die habe – weil kein „Dienstvergehen“ vorlag – von einem Vorermittlungsverfahren abgesehen. Nun schrieb sie ihm jedoch, sie könne seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft „nicht befürworten“. Die Anwaltskammer bezeichnete obendrein sein „bewußtes Verschweigen“ als „schweren Charakterfehler“. Lüko nahm sich einen Anwalt.

Dieser kassierte erst einmal einen Vorschuß von 300 Mark und bot dann dem Anwaltsgerichtshof schriftlich einen „Deal“ an: Wegen des „Bagatellcharakters“ habe sein Mandant die „Vorstrafe nicht mehr realisiert“, er würde den Zulassungsantrag aber zurückziehen – so lange, wie die Anwaltskammer ihn für ungeeignet zur Ausübung des Berufes halte – und danach einen neuen, richtig ausgefüllten stellen. Ansonsten sei die Vorstrafe überhaupt nicht geeignet, „an seiner Würdigkeit zu zweifeln“.

Anfang 1997 wurde dieser „Vergleichsvorschlag“ akzeptiert. Dann erfuhr die Kammergerichtspräsidentin jedoch, daß Lüko Becker steckbrieflich gesucht werde und ein Haftbefehl gegen ihn vorlag. Im Juli klärte er sie darüber auf: Wegen der Geldstrafe hätte er Ratenzahlung vereinbart gehabt, die diesbezüglichen Antworten der Staatsanwaltschaft Oldenburg inklusive der Vollstreckungsversuche seien jedoch nie bei ihm angekommen. Im übrigen wäre die Geldstrafe inzwischen bezahlt und der Haftbefehl aufgehoben. Die Anwaltskammer befürworte daraufhin erneut seinen Antrag, woraufhin es am 14. Oktober endlich zum Eid kam: Er mußte „schwören, die verfasssungsmäßige Ordnung zu wahren und die Pflichten eines Rechtsanwalts gewissenhaft zu erfüllen“. Anschließend durfte er seine Kanzlei in der Oranienstraße 28 eröffnen. Die beiden ersten Aufträge hatten dann auch tatsächlich mit Gewalt und Pornographie zu tun: Ein schmächtiger junger Thai sollte 3.000 Mark zahlen, weil er einen großen Verwaltungsangestellten im Tiergarten zusammengeschlagen hatte. Und einem israelischen Kulturschaffenden hatte man auf einem bayrischen Flughafen mehrere Kunstvideos abgenommen und als pervers vernichtet.

Beide Fälle löste Lüko mit Bravour – zur Freude seiner Mandanten, die noch nicht einmal etwas dafür zahlen mußten. Auch für ein Gutachten, um das ich ihn dann bat – bei einer juristische Auseinandersetzung, in der es um „Prostituierten-Sein oder -Nichtsein“ ging –, konnte ich ihm nur anbieten, dafür bei Gelegenheit mal was Positives über seine Kanzlei zu schreiben. Das ist hiermit geschehen. Helmut Höge