Meinungskette für AusländerInnen

Vor fünf Jahren bildeten 400.000 MünchnerInnen die erste Lichterkette gegen Ausländerfeindlichkeit. Zum Wahljahr 1998 versammeln damalige Initiatoren Prominente von Hans Meiser bis Joschka Fischer  ■ Aus München Patrik Schwarz

„Unbedingt auf das Wasser achten“, hatte eine erfahrene Münchnerin uns geraten. In München bestimme auf Veranstaltungen die Mineralwassermarke, welche Klientel zu erwarten sei: Je erlesener das Wasser, desto feiner die Gäste. Die Flaschen auf dem Büffet vorgestern abend in München sind blau und edel geschwungen, und wenn man sich ganz weit vorbeugt, kann man sehen, was auf dem silbernen Etikett steht: „Prosecco“.

Es hatte geladen eine Art Bürgerinitiative der Champagner- Klasse, ein kleiner Kreis von ebenso engagierten wie erfolgreichen Münchnern aus Medien, Werbung und Unterhaltung, die 1992 die erste Lichterkette gegen Ausländerfeindlichkeit auf die Beine gebracht hatten. Mit 400.000 Teilnehmenden war sie die Initialzündung für die weiteren Lichterketten in allen Teilen Deutschlands gewesen. Während der vergangenen Jahre konzentrierten sich die Initiatoren von einst darauf, Spendengelder für Basisprojekte im Bereich Flüchtlings- und Ausländerarbeit zu sammeln. Zum Wahljahr 1998 stellen sie jetzt eine neue Aktion für das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern vor. „Die wirtschaftlich angespannte Lage darf nicht dazu führen, daß Stimmung gemacht wird gegen Ausländer“, sagt Giovanni di Lorenzo, Sprecher des Vereins Lichterkette e. V. „Schlechte Konjunktur. Gute Ausrede.“ lautet ein Slogan der Anzeigenkampagne, die von Radio-, Fernseh- und Kinospots begleitet wird.

Anni Kammerlander wirkt nicht so, als tränke sie jeden Abend Prosecco. Vielleicht liegt es an der Korallenkette aus Marokko, die sie heute trägt, daß sie in der Menge der etwa 400 Gäste auffällt, die als potentielle Groß-Sponsoren eingeladen sind, vielleicht auch einfach an ihrem Beruf. Kammerlander ist Geschäftsführerin von Refugio, einem Beratungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer. Sie vertritt damit eine der fünf Basisgruppen, die vom Verein Lichterkette unterstützt werden. Als Ansprechpartnerin für Interessierte steht sie unter einem Refugio-Plakat, während in der Mitte der Halle Gäste plaudern, die mit Namen wie „Kiki von Bohlen-Halbach“ sonst eher in der Bunten anzutreffen sind als in Asylbewerberheimen. Anni Kammerlander lächelt. „Das ist schon eine andere Szene. Wer bei uns aktiv ist, ist Soz-Päd oder Therapeut, Arzt vielleicht. So was wie hier können wir gar nicht auf die Beine stellen, so 'nen Bekanntenkreis haben wir nicht.“

Gerade als kleine Organisation profitiere Refugio enorm von der Lichterkette. Erst durch deren gewiefte Medienarbeit sei das Münchner Beratungs- und Behandlungszentrum für Folteropfer einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden. Daniel Huber von der Studenteninitiative „Deutsch für Flüchtlinge“ sieht in der Kooperation mit dem Verein Lichterkette eine klare Aufgabenteilung: „Gerade den Basisorganisationen mangelt es ein Stück weit auch an Professionalität. Ich glaube, daß die Lichterkette genau diese Lücke ausfüllt — auch wenn man vielleicht Probleme hat mit dieser Art Publikum.“

In Großbritannien und den USA existiert im Wohlfahrtsbereich längst eine Aufgabenteilung zwischen den Mitarbeitern, die Spenden eintreiben, und denen, die sie ausgeben. „Unsere Partnerorganisationen in London leben zu 55 Prozent von Benefizveranstaltungen. Ich schätze mal, daß das bei uns in zehn Jahren auch so sein wird.“ Während Giovanni di Lorenzo davor warnt, zu große Hoffnungen in die Möglichkeiten einer letztendlich lokalen Organisation wie den Verein Lichterkette zu setzen, sieht er noch ungenutzte Chancen: „Unsere Stärke ist, daß wir Schichten ansprechen können, die sich sonst nicht für das Thema interessieren.“ Den Vorwurf, ein eigentlich politisches Anliegen auf das Niveau von Liz Taylors Benefizgalas zugunsten Aidskranker zu reduzieren, läßt er nicht gelten: „Sich für Ausländer einzusetzen ist doch längst nicht mehr schick oder populär!“

In der Halle sind unterdessen die Scheinwerfer auf die Bühne gerichtet. 17 Prominente von Rita Süssmuth und Joschka Fischer bis TV-Moderator Hans Meiser und Focus-Chefredakteur Helmut Markwort haben sich nacheinander zu einer „Meinungskette“ aufgereiht. In Zwei-Minuten-Statements haben sie ihre Erwartungen an den „inneren Frieden“ zwischen Ausländern und Deutschen formuliert. Kurz vor Beginn des Wahljahres hoffen die Veranstalter gleichsam auf einen Akt der Selbstverpflichtung: Wer im Lichtkegel gelobt, das Thema Ausländer in Deutschland nicht mit dem Reizwort Innere Sicherheit zu verknüpfen, steht damit im Wort, auch wenn der Wahlkampf heiß wird. Zugleich offenbart die „Meinungskette“ das Dilemma einer Strategie, die beim Thema Ausländer alle, von Markwort bis Fischer, in ein Boot holen will: Klare eigene Forderungen unterbleiben, etwa zur Änderung des Staatsbürger- oder Asylrechts.

So kamen die zwei radikalsten Appelle des Abends von Heiner Geißler, nicht von der Lichterkette. „Es ist ein Skandal, wenn die USA das Regime in Afghanistan stützen, um ihre Ölmultis zu schützen!“ Und: „Die frauenspezifische Verfolgung in Afghanistan muß endlich als Asylgrund anerkannt werden!“