Finanzminister frontal gegen Studierende

■ Um die Proteste an den Hochschulen nicht weiter anzuheizen, wird nun in Bonn nach einem Kompromiß für die Bafög-Reform gesucht. Studentenvertreter beraten Treffen mit Rüttgers

Berlin (taz) – Zwei Streikkolonnen marschieren schnurstracks aufeinander zu: Während gestern erneut Tausende von Studierenden auf die Straße gingen, um für Bildungsreformen sowie das „Bafög für alle“ zu demonstrieren, stellten sich ihnen aus der anderen Richtung die Länderfinanzminister entgegen. Alle 16 KassenwartInnen der Länder weigerten sich geschlossen, eine grundsätzliche Reform des Bafög zu akzeptieren. Wegen der neuen Steuerausfälle sei allenfalls eine „kostenneutrale“ Bafög-Anpassung möglich, teilten sie mit. Hinter den Kulissen wird nun in Bonn nach einer Kompromißformel gesucht, um die Proteste nicht weiter anzuheizen.

Die Chefs der Staatskanzleien bemühten sich gestern bis zum späten Abend, den Streit unter den Kultus- und den FinanzministerInnen zu schlichten. Die Kultusminister votieren, von Sachsen abgesehen, einmütig für ein komplett neues Bafög-Modell mit drei Körben. Die Finanzminister lehnten dieses „Bafög für alle“ am Donnerstag erneut ab. Wie es heißt, wird inzwischen nach einer Übergangslösung gesucht. Ansonsten sei „die Ausbildungsförderung in Deutschland am Ende“, sagte die Bafög-Koordinatorin der Länder, Niedersachsens Wissenschaftsministerin Helga Schuchardt.

Das bestätigte der gestern bekanntgewordene Bafög-Bericht. Danach ist die Zahl der Bafög- EmpfängerInnen erneut drastisch gesunken. 1991 erhielten noch 442.000 Studierende die staatliche Studienstütze, 1996 waren es nur noch 275.000. Die Fördersätze reichen laut Bericht nicht mehr aus, um die Lebenshaltungskosten zu decken: 1.200 Mark benötigt ein Studi; der Förderhöchstsatz, den nur ein Bruchteil erhält, liegt bei 995 Mark. Insgesamt werden noch 15 Prozent der Studis gefördert. Dennoch behauptete Bildungsminister Jürgen Rüttgers (CDU), er wolle, „daß auch in Zukunft junge Leute unabhängig von ihrer sozialen Herkunft studieren können“. Rüttgers zählt gleichfalls zu den Gegnern des Drei-Körbe-Modells. Nach Informationen der taz berieten gestern StudentenvertreterInnen in Bonn, ob sie Rüttgers treffen sollen. Bis Redaktionsschluß bestand darüber kein Konsens.

Das Deutsche Studentenwerk, Gewerkschaften, die Kultusminister und Studentenorganisationen jeglicher politischen Couleur riefen gestern wieder eindringlich nach der grundlegenden Bafög- Reform, über die letztes Jahr zwischen Kanzler und Ministerpräsidenten bereits Einigkeit bestanden hatte. Das Finanzminister-Veto hat diese nun wieder in Frage gestellt.

Die Aktionen der Studierenden hielten unvermindert an. In Frankfurt am Main demonstrierten 2.000 Studierende. Einige versuchten mit den Worten „Raus mit der Kohle!“ die Zentrale der Deutschen Bank zu stürmen. Es gab keine Festnahmen. In Karlsruhe liehen Studierende massenhaft Bücher aus der Landesbibliothek, um den Betrieb zu stören. Göttinger Protestler luden gleich Misthaufen vor der Bibliothek ab. Auch im Osten der Republik wird nun an mehreren Hochschulen gestreikt. In Potsdam besetzten Studierende das Rektorat der Universität. Christian Füller