Analyse
: Blockhütte und Meer

■ In Kioto sollen Wälder als CO2-Fresser gutgeschrieben werden

Halbzeit in Kioto. Spielstand unklar. Viele Delegierte blicken nicht mehr durch. Manchmal verliert sogar der Moderator einer Arbeitsgruppe die Übersicht: Nach zwei Tagen verwarf ein Leiter den überarbeiteten Vorschlag und zog das ursprüngliche Papier heraus. Zurück zum Start.

Das vorerst größte Loch sind die Senken. Wachsende Wälder, Holzplantagen und Böden können Kohlendioxid speichern. Prompt wollen das diverse Länder verrechnen mit dem Treibhausgasen, die aus ihren Schloten quillen. Als klar wurde, daß man nicht genau weiß, wieviel Biomasse eigentlich im Boden gespeichert ist, schlug Japan vor, nur die Vegetation zu zählen. Daß selbst die Biomasse des gut erforschten Fichtenwaldes immer noch unklar ist und im Boden bis zu doppelt so viel Kohlenstoff steckt, stört nicht.

Könnte man nicht auch noch die 200-Seemeilen-Zone als Senke mitzählen? fragt statt dessen Japan. Meere nehmen auch Kohlendioxid auf. Und wenn man die Algen mit Eisen düngt, gleich noch ein bißchen mehr. Und wer einen Wald abholzt und damit Blockhütten baut, hat schon wieder eine Senke, denn der Wald wächst nach, und das Haus bleibt stehen. Allein aus den reinen Waldsenken könnten sich die USA irgendwas in der Gegend von acht Prozent bis 2010 gutschreiben lassen, schätzt das Bundeslandwirtschaftsministerium. Dafür könnte sich US-Vizepräsident Al Gore am Montag auch noch um vier, fünf Prozent raufhandeln lassen. Die Debatte um die Senken offenbart wie keine andere das Dilemma dieser Verhandlungen: Selbst die tapfer kämpfende EU ist in der Frage der Senken nicht mehr ganz geschlossen. Zu schön ist es doch, mit einem hohen Reduktionsziel dazustehen. So scheint sich die Anrechnung der Waldsenken als erstes Schlupfloch ins Protokoll hineingefressen zu haben.

Verheerend war dabei das Auftreten der USA. Gegen die Industrielobby kann Präsident Bill Clinton nur begrenzt Maßnahmen durchsetzen. Ihrem Selbstempfinden gemäß will die US-Delegation aber Vorreiterin sein. Sie setzt jetzt alles daran, die EU zu demontieren. Der Preis dafür ist hoch: Weil die USA ihre klassischen Partner wie Australien, Neuseeland und eingeschränkt auch Japan gegen die EU von der Kette lassen und ihr dafür jedes Mittel recht ist, versinken die Verhandlungen im Chaos. Am Ende wird kaum noch einer überschauen können, was nun eigentlich netto für die Umwelt herausgekommen ist. Matthias Urbach