„Diese Misere ist nicht unser Schicksal“

■ Dragoljub Micunović, Präsident des Demokratischen Zentrums, tritt bei den Präsidentschaftswahlen in Serbien als demokratische Alternative an

taz: Sie gelten als Outsider, warum kandidieren Sie?

Dragoljub Micunović: Fünfzig Prozent der Wähler haben vor zwei Monaten die Präsidentschaftswahlen boykottiert, sie konnten sich mit keinem Kandidaten identifizieren. Einige Parteien boykottieren auch diese Wahlen. Wir glauben aber, daß es wichtig ist, den Bürgern wenigstens eine demokratische Option anzubieten und endlich das demokratische Potential Serbiens festzustellen.

Wie erklären Sie sich die Gleichgültigkeit der völlig verarmten Bevölkerung?

Ich glaube, daß es viele gibt, die man nach dem Zusammenbruch der Koalition Zajedno aus der Apathie reißen muß, die man um ein wirklich demokratisches Programm versammeln kann. Die Menschen, die im Alltag die größten Probleme haben, die in Mülltonnen wühlen und sich in Volksküchen ernähren, sie demonstrieren nicht mit Parolen „Wir sind hunrig, wir sind erniedrigt!“ Nein. Sie haben die Hoffnung verloren. Für sie ist die Sache gelaufen. Wir können und müssen das ändern.

Warum vertritt Herr Drasković nicht das demokratische Serbien?

Drasković' Wahlkampagne ist einfach konzipiert. In einem autoritären, undemokratischen Ton bietet er sich selbst als den einzigen Retter Serbiens an und greift Šešelj mit allen Mitteln an. Dabei vergißt er wohl, daß gerade seine Wähler Šešelj vor zwei Monaten den Sieg in der Stichwahl gebracht haben. Von Drasković' Methoden kann nur der Kandidat der Linken, Milan Milutinović, profitieren. Und Šešelj ist ein Schmarotzer, der von der alten nationalistischen Politik des Milošević-Regimes lebt. Mit der Realität konfrontiert, mußte die sozialistische Staatsspitze den aggressiven Nationalismus aufgeben. Šešelj verpflichtet jedoch gar nichts, er spricht weiter von Großserbien, er sagt, was die Menschen hören wollen. Es braucht lange Zeit, die Träume, für die man Krieg geführt hat, aufzugeben.

Wie wollen Sie die Bürger aus der Apathie reißen?

Ich will bei den Wählern Kritik auslösen, ihren Optimismus wiedererwecken und sie überzeugen, daß diese Misere nicht unser Schicksal ist, daß wir nicht immer die gleichen Menschen, die uns das angetan haben, in der Zukunft akzeptieren müssen. Serbien hat weder einen Präsidenten noch eine Regierung. Serbien lebt in einem Übergangszustand. Die Milošević- Koalition kann nicht allein regieren. Eine offene Koalition mit Šešelj können sie sich kaum leisten, und Drasković ist ein sehr unzuverlässiger Partner. Auch das Resultat der Parlamentswahlen vor zwei Monaten wird kaum zu einer Stabilisierung des Landes führen. Interview: Andrej Ivanji