Der Dichter als literarischer Zuhälter

■ John Fuegis Biographie „Brecht & Co.“zeigt den schwäbischen Edelproleten als Buchstaben-Blutsauger

Das Heinrich-Heine-Jahr geht zu Ende, da steckt die deutsche Kulturwelt bereits mitten in den Vorbereitungen zur nächsten großen Geburtstagsfeier. Am 10. Februar jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag Bertolt Brechts. Grund genug, an das ebenso vielfältige wie umfassende Werk des schwäbischen Edel-Proleten zu erinnern.

Schon zu seinen Lebzeiten war bekannt, daß Brecht in Fragen des „geistigen Eigentums“nicht zimperlich war. Auch die Verflechtung von Liebes- und Arbeitsleben galten von Anfang an als ein typisches Brechtmerkmal. Daß er gleich mehreren Geliebten Heiratsversprechungen machte, manifestierte sich nach seiner Hochzeit mit Helene Weigel, als sowohl Marie Luise Fleisser als auch Elisabeth Hauptmann Selbstmordversuche unternahmen. Hauptmann war seit mehreren Jahren Geliebte und engste Mitarbeiterin Brechts gewesen. Ihr Anteil an der Dreigroschen-oper etwa, so schätzt Fuegi in seiner Biographie Brecht & Co., beläuft sich auf rund 80 Prozent.

Das war, folgt man den Ausführungen Fuegis, kein Einzelfall. Der amerikanische Germanist entwirft auf über 1000 Seiten ein Brecht-Bild, in dem ein literarischer Blutsauger zum Vorschein kommt, der seine unter Kreativitätsgesichtspunkten wohlausgewählten Mitarbeiterinnen zu Kulturhuren degradierte. Denn der schwäbische Schwerenöter litt selbst immer wieder an kreativer Impotenz. Die Ambitionen seiner Mitarbeiterinnen, sich als unabhängige Autorinnen zu renommieren, machte er durch boshafte Intrigen und eigennützige Vertragsmachenschaften zunichte. Wenn es ihm vorteilhaft erschien, gab er hemmungslos ihre Arbeiten als seine eigenen aus.

Brecht verstand sich nicht nur als Autor, sondern auch als Manager der „Brecht-Marke“, und er wußte, daß sich unter seinem Namen veröffentlichte Texte am besten vermarkten ließen. Daß er die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der „Brechtwerkstatt“, zu nennen wäre etwa noch Margarete Steffin , dabei um ihren wohlverdienten Anteil prellte, das stört den politisch korrekten Biographen aus heutiger Sicht am meisten.

Drei Jahre sind inzwischen vergangen, seit Brecht & Company. Sex, Politics and the Making of Modern Drama in Amerika erschienen ist. Auch in Deutschland eröffnete das Buch sofort eine heftige Kontroverse. Der Spiegel bezeichnete es als „denkmalschänderisch“. Und auch Die Zeit sah darin in erster Linie ein „Machwerk“. Wenn auch ein lesenswertes. Vor einer Woche hat die Europäische Verlagsanstalt eine überarbeitete Fassung in deutscher Sprache vorgelegt, die der Autor heute abend erstmals persönlich der Öffentlichkeit vorstellt.

Schon jetzt zeichnet sich ab, daß die von Fuegi ausgelöste Debatte um Brecht in eine neue Phase übergeht. Mit Brecht & Co. als Hauptanklageschrift ausgestattet, verlangt der Hamburger Anwalt Tim Burkert im Namen der Hauptmann-Erben eine Korrektur der Urheberrechte vom Suhrkamp-Verlag. Wenn es zu keiner Einigung kommt, droht ein Verfahren. Da Tantiemen noch 70 Jahre nach dem Tod des Autors gezahlt werden, stehen astronomische Summen auf dem Spiel.

Das alles erweckt den Eindruck, als ginge es um einen verspäteten Rachefeldzug gegen den „literarischen Zuhälter“B. B. Warum aber auch nicht? Schließlich sagte er selbst in einem seiner göttlich-zynischen Momente, „essen am letzten die, denen das Werk am nächsten steht“. Also ist es vielleicht soweit: Autorinnen, bitte zu Tisch! Joachim Dicks

heute, 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38