"Hier ist kein Museum"

■ Gedenken als Privatsache - ohne Info-Zentrum und Jahrmarktrauschen: Ein Gespräch mit der Architektin Gesine Weinmiller über ihren Entwurf für das Berliner Holocaust-Mahnmal

taz : Frau Weinmiller, die Findungskommission für das Mahnmal der europäischen Juden in Berlin hat sich nicht entschieden. Sie favorisiert Ihren Entwurf wie den von Richard Serra/Peter Eisenman. In der Begründung wurde von Schönheit gesprochen – was bei der ersten Auslobung undenkbar gewesen wäre. Gibt es eine Ästhetik des Gedenkens?

Gesine Weinmiller: In dem Moment, in dem ein Architekt tätig wird, ist eine gewisse Ästhetik selbstverständlich. Ob man die allerdings als schön bezeichnet, ist Sache des einzelnen.

Auffällig ist die Ordnung, nach der sich das Mahnmal erschließt: Man kann es von außen betrachten, man geht hinein, und am Ende trifft man auf eine Gedenkmauer. Das Ganze ist so angelegt, als sollten Besucher in die Erinnerung hinabsteigen. Ist beim Gedenken der Prozeß wichtig?

Es ist sicher ein Weg, der auf einzelnen Momenten aufbaut. Wenn man aus dem tosenden Stadtgetümmel des Tiergartens kommt und dann immer mehr in das Denkmal versinkt, ist das beabsichtigt. Mir ist auch der Verlust des Horizontes, der Verlust an Eindrücken wichtig, wenn man hinabsteigt. Man hört die eigenen Schritte auf dem Kieselstein, alles wird auf das konzentriert, worum es geht. Natürlich helfen die architektonischen Elemente, um äußere Faktoren auszublenden. Und ich bin mir ganz sicher, daß man es schaffen muß, den Verkehr wegzublenden, wenn man an dieser Stelle ein Mahnmal errichten will. Das betrifft vor allem die eigenen Empfindungen: Ein Grundrauschen würde womöglich nicht mal stören, aber das ständige Anfahren und Stehenbleiben – der Verkehr würde ein Gedenken unmöglich machen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man ein Denkmal auf dieser ebenen Fläche realisieren kann. Die Topographie folgt eigentlich diesem Gedanken: einen Raum der Stille, des Aufatmens und des In-sich-Hineingehens zu schaffen.

Als wichtigstes Bild fungiert für meine Arbeit das Tal der Gemeinden in Yad Vashem, die Steinblöcke, die sowohl Assoziationen der Bedrohung und des Schutzes zulassen. Die Steine symbolisieren den barbarischen Akt der Zerstörung, und ich denke auch, daß die Scheiben, wenn sie fast unverbunden in der Landschaft stehen, etwas von dem Gefühl vermitteln. Am Ende tritt man durch die Mauer, steigt nach oben zurück in den Lärm der Stadt. Aber man kann noch immer auf das Feld zurückblicken, so daß die Zerstörung sehr abstrakt wieder zu einer Einheit wird. Alles dreht sich um diese drei Elemente – ich möchte eben nicht in der Hoffnungslosigkeit hier unten enden. Vielmehr bemühe ich mich darum, dieses schreckliche Geschehen durch das Gedenken zu verinnerlichen, aber auch mit einem positiven Aspekt zu verbinden – daß durch das Gedenken auch eine Art Versöhnung entstehen kann. Das wäre mein Ziel: nicht in der Verzweiflung stehenzubleiben.

Ihr Entwurf soll als Ort der Einkehr und Stille dienen. Nun wurde zuletzt das Mahnmal gerade als Stätte des Schweigens kritisiert. Der Präsident der Akademie der Künste, György Konrad, hat sogar einen Ort gefordert, wo Kinder spielen und Jugendliche tanzen können. Wollen Sie das alltägliche Leben ausblenden?

Für mich hat Gedenken nichts mit Jahrmarkt zu tun, sondern es ist erst mal eine höchst private Sache, die im einzelnen wächst. Ich glaube nicht, daß das Mahnmal der Ort ist, um Volkshochschule abzuhalten oder didaktisch zu arbeiten. Und ich glaube nicht, daß es der Ort ist, wo sich zufällig Juden und Nichtjuden treffen und sich die Hand schütteln. Ein solcher Raum findet im Privaten statt. Ich würde nie auf die Idee kommen, hier auf den Platz zu gehen und zu versuchen, mit einem Juden über dessen Empfindungen zu sprechen.

Wir Deutschen haben zwar gerne Orte, an denen wir angeregt werden, historisch zu denken, wo wir den Empfindungen Ausdruck geben können, weil dort ein Gästebuch liegt, in das wir uns eintragen können, oder wo ein Mäuerchen steht, in das wir unseren Namen hineinkritzeln können. Doch das sind für mich Dinge, die hier nicht funktionieren. Ich möchte die Spur des einzelnen im einzelnen spürbar machen, nicht am Denkmal.

Andererseits hat auch dieser Entwurf mit dem Leben zu tun. Das sieht man schon am Brandenburger Tor: All die Leute, die dort ihre kleinen russischen Puppen einkaufen, die werden hierher kommen. Und sobald der Potsdamer Platz fertig ist, wird die ganze Strecke ja eine einzige Meile sein, und dann werden die Leute dort hineingehen – aber als private und einzelne Menschen.

Nun sieht auch das von Ihnen geplante Mahnmal einen Text vor, der in die Stirnwand eingraviert werden soll. Was wird dort stehen?

Ich bin Architektin und kein Schriftsteller oder Historiker. Ich fühle mich nicht berufen, diesen Text zu schreiben. Es gab einige Historiker, mit denen ich gesprochen habe, insofern habe ich auch ein paar Vorstellungen, was dort stehen kann. Für mich würde da sehr pragmatisch stehen, daß von Berlin aus Politiker und Beamte einen Mord an sechs Millionen Menschen organisiert haben; vor aller Augen und mit Billigung eines großen Teils der Bevölkerung und gegen den Widerstand einiger wurden Juden aus fast allen Ländern Europas erniedrigt, verschleppt und ermordet. Überlebende sprechen von der Shoah und die Täter von der Endlösung der Judenfrage.

Das klingt wie der Versuch, es bei der Beschreibung von Tatsachen zu belassen.

Ja, der Text soll ganz pragmatisch auf die Verbrechen hinweisen. Es geht mir nicht darum, einen poetischen Satz zu finden, der gut klingt und dazu paßt. Poesie halte ich an diesem Platz nicht für angebracht.

Zugleich wird der Holocaust mehr und mehr durch Medien und Informationen vermittelt. Sie selbst sind aus einer jüngeren Generation, die von der Shoah nur aufgrund von übermittelten Quellen weiß. Das Spielberg-Archiv, das Jochen Gerz mit dem Mahnmal gemeinsam installieren will, versucht, diese Quellen zu retten. Wie glauben Sie, kann man das Wissen in Bezug zum Gedenken setzen, ohne aus dem Ort ein Info- Zentrum zu machen?

Es gibt ein jüdisches Museum, es gibt eine „Topographie des Terrors“, beides ist fußläufig zu erreichen. Das sind die Orte, wo ein solches Wissen vermittelt wird. Für mich ist ganz klar: Hier ist kein Museum, hier geht es überhaupt nicht um Aufklärung. Das finde ich wirklich wichtig, das zu unterscheiden – wenn es darum ginge, ein Museum zu bauen oder einen erklärenden Beitrag darüber zu formulieren, wie der Holocaust war, dann hätte mein Entwurf seine Aufgaben nicht erfüllt.

Mit den Steinen setzen Sie auf das Bild eines verzerrten Davidsterns, der sich perspektivisch auflöst. Das Motiv bleibt visuell unscharf, fast ein wenig rätselhaft. Am Boden sind die Steine konkret wie eine Klagemauer installiert. Spiegelt sich in diesem Zwiespalt die Erfahrung mit der Unmöglichkeit von Erinnerung wider?

Auf keinen Fall, nein. Die Bezüge zur Klagemauer sind nicht erwünscht, aber sie stören mich auch nicht. Die Elemente sind ohnehin nur 17 Meter lang und wie Scheiben geschnitten. Ich glaube nicht, daß man da zu nah an einem religiösen Motiv liegt. Die Mauern stehen offen im Gelände. Der Entwurf macht weder Angst, noch greift er zum Mittel der monumentalen Inszenierung.

Eher schon stelle ich mir das sehr spannend vor, wenn man sich auf der abfallenden Fläche nach unten bewegt, und wie sich aus den einzelnen Mäuerchen am oberen Ende allmählich bis zu sieben Meter hohe Elemente entwickeln, wenn man ans untere Ende gelangt. Dadurch bekommt man ein Gefühl für die Präsenz. Diese Metamorphose des Eintauchens ist als Empfindung auch viel wichtiger als die Bilder, die man woanders schon gesehen hat.

Der Entwurf zielt darauf ab, den Platz möglichst behutsam in den Griff zu bekommen. Bei den Kolloquien wurde angemahnt, man solle nicht mit einer so gewaltigen Fläche arbeiten. Wie sehen Sie die 20.000 Quadratmeter?

Ich sehe die Größe der Fläche für meinen Entwurf als Vorteil an. Es ist ein Stück der Stadt, das herausgenommen wird, so wie auch durch den Holocaust ein wichtiger Teil unserer Bevölkerung ausgelöscht wurde. Ich finde es sehr gut, daß die Leere, die durch das Fehlen dieser Menschen in der Stadt geblieben ist, an so prominenter Stelle dargestellt wird. Daß man wirklich klarmacht, hier fehlt uns ein Stück dieser Stadt. Deshalb soll man von meinem Entwurf aus der Ferne auch gar nichts sehen können. Man muß sich das in der Reihe vorstellen: Reichstag, Brandenburger Tor, amerikanische Botschaft – dann die Leere, die Landesvertretungen und schließlich der Potsdamer Platz. Im Moment ist alles nur Wüste, die einen einfach deshalb erschlägt, weil sie vom Brandenburger Tor bis zum Potsdamer Platz reicht. Keiner kann sich vorstellen, wie das am Ende aussieht. Die 20.000 Quadratmeter wirken dort viel größer, als sie es in Wirklichkeit sind. Ich meine auch, daß darin einer der Gründe liegt, warum Architekten mit der Aufgabe besser umgehen können als Künstler: Wir machen schließlich nichts anderes, als mit Räumen umzugehen, sei es in Größe, Höhe oder Proportionen.

Insofern paßt die Idee eines großformatigen Mahnmals ziemlich gut in die gesamte Neuordnung der Stadt mit ihren riesigen Bauvorhaben. Hat sich die Dominanz der Architektur auf die Ausschreibung ausgewirkt?

Es hängt sicher damit zusammen, daß Architektur den öffentlichen Raum auch ästhetisch sehr viel stärker prägt, als man früher angenommen hat. Andererseits habe ich natürlich sehr gekämpft mit diesem Projekt. Seit Jahren denke ich über dieses Thema nach. Ich habe mich natürlich auch gefragt: Wie kann man einen Stein auf den anderen setzen und meinen, daß man damit ein so schreckliches Ereignis wie den Holocaust symbolisieren kann. Geht so etwas überhaupt? Das war für mich die größere Herausforderung als diesen Raum mit seinen 20.000 Quadratmetern zu bewältigen. Jeder Dorfplatz ist wahrscheinlich ebenso groß wie der Ort für das Mahnmal. Monumental ist eher der Gedanke, der hinter dem Projekt steht, der Ort selbst ist erst mal schuldlos.

Dann haben Sie sich die Frage nach dem Warum also praktisch mit jedem Stein gestellt?

Ich glaube, es gibt nicht eine einzige Antwort auf die Frage nach dem Warum. Mir fällt jedenfalls keine ein. Die Frage stellt sich nicht. Ich werde deshalb wütend, wenn man so etwas auf einen Nenner bringen und 1:1 erklären will. Es gibt keine Erklärung. Ich kann nur das Angebot eines Raumes bieten, wo man an sich selbst arbeiten kann. Fragen oder Antworten habe ich nicht. Interview: Harald Fricke