■ Nachschlag
: Kußhändchen und Eurodance vom Bosporus: Tarkan in der Arena

Ein mittleres Verkehrschaos spielt sich ab auf der Straße und im schlammigen Morast vor der Arena in Treptow, wo Dutzende von geräumigen Mercedes-Limousinen umherkreisen und um die knappen Stellplätze konkurrieren. In der Halle haben indes Orientation, die poppig-arabeske Vorgruppe aus Berlin, bereits zum Start angesetzt, im Hintergrund überwacht vom überdimensionalen, immergrünen Tarkan-Augenpaar – die gleiche Bühnen-Deko wie schon bei dessen Auftritt vor drei Jahren im Huxley's. Support you local heroes! Doch die meisten trudeln erst später ein, zum überpünktlichen Beginn der Tarkan-Show.

Zu den rockigen Riffs von „Ölürüm sana“ steigt der mit metallisch glänzendem Glitzerleibchen und Sonnenbrille vors Volk und sieht dabei auf den ersten Blick so albern aus wie Bono von U2 bei deren letzter Tournee. Doch nach kurzer Zeit besinnt sich das türkische Pop-Idol eines Besseren, verschwindet hinter die Kulissen und kehrt im roten Shirt wieder – der erste von insgesamt fünf Oberhemdwechseln. In den Umkleidepausen haben der lockige Gitarrist der Begleitband sowie die blonde Backgroundsängerin Gelegenheit, mit kilometerlangen Gitarrensoli bzw. einer Ballade die Unterbrechung zu überbrücken. Dann hüpft Tarkan wieder wie frisch gedopt zurück auf die in türkises Licht getauchte Bühne, zappelt mit den Hüften, wirft Kußhändchen, und weiter geht's mit technoiden Klängen – Eurodance vom Bosporus.

Musikalisch geht es auf Tarkans letztem Album etwas härter zur Sache als zuvor, auch abwechslungsreicher. Doch auswendig mitsingen kann das Publikum vor allem die älteren Stücke, insbesondere die langsamen Liebeslieder. Dann steht der Star aus Istanbul am Bühnenrand und dirigiert den Chor, Feuerzeuge und Plastikherzen blinken in der Menge, und Tarkan lobt: „Ihr seid wunderbar.“

Kurz vor Schluß gibt es noch einen stilechten Ausflug in die türkische Klassik, mit der entsprechenden instrumentalen Begleitung. Tarkan stimmt ein Stück von Zeki Müren an, singt von Entbehrung und schwelgt in arabesken Modulationen. Ein Kunstgriff, der Tarkans klassische Ausbildung am Konservatorium offenbart. Und eine respektvolle Verbeugung vor dem im letzten Jahr verstorbenen, androgynen Superstar der türkischen Kunstmusik. Daniel Bax