Die Weltmacht denken

■ Ein neues Produkt aus den Computern der amerikanischen Geostrategen – nach Francis Fukuyama, Henry Kissinger und Samuel Huntington hat jetzt Zbigniew Brzezinski zugeschlagen

Amerikas außenpolitische Entwürfe unterscheiden sich seit 1989 weniger durch die Zielsetzung als durch die Herkunft ihrer Autoren: Es gibt Professoren, die zu Praktikern und Praktiker, die zu Professoren wurden. Pragmatiker der Macht sind sie alle.

Der erfolgreichste Nachkriegsentwurf stammte von einem Praktiker. George Kennan formulierte die Politik des „Containment“ und lieferte damit die außenpolitische Handlungsanleitung für die Zeit des Kalten Krieges. Nach 1989 kam dann die Zeit der Primär-Professoren. Am bekanntesten wurden Francis Fukuyama und Samuel Huntington. Fukuyama veröffentlichte bereits 1989 eine Abhandlung, in der er nichts weniger als das „Ende der Geschichte“ postulierte. Mit der Niederlage des Kommunismus stehe dem „american way of life“ nichts mehr im Wege, Wohlstand und Demokratie werde sich durchsetzen, der Kapitalismus habe endgültig gesiegt. Dem Opimisten Fukuyama antwortete der Pessimist Huntington. Der Krieg der Ideologien, so der Harvard-Professor, werde im nächsten Jahrhundert abgelöst durch den Krieg der Kulturen.

Zur Zeit schwingt das Pendel der Zustimmung in der kleinen, aber feinen Gemeinde des außenpolitischen Überbaus stark in Richtung Huntington. Von der Euphorie des Gewinns blieb wenig, Amerika stöhnt unter der Bürde des Siegers. Der Universalismus westlicher Vorstellungen von Menschrechten und Demokratie geriet in die asiatische Kritik, und auch Huntington warnte vor dem westlichen Kulturimperialismus. Als die Stimmung in den USA umzuschlagen drohte und Clinton sowie die Mehrheit des Kongresses zu einer „Ohne uns“- Haltung umschwenkten, zogen die Praktiker die Notbremse. Henry Kissinger warnte, ohne die weltweit ordnende Hand Amerikas drohe das Chaos, und auch Zbigniew Brzezinski bemüht sich, in dem jetzt bei uns erschienenen Buch „Die einzige Weltmacht“ seine Leser davon zu überzeugen, daß die Welt Amerika und Amerika die Welt braucht.

Die wichtigste Botschaft an das US-Establishment lautet: Isolationismus – nein danke! Die USA müssen weltweit präsent bleiben. Nicht um die Menschheit zu beglücken, sondern aus wohlverstandenem Eigeninteresse, schließlich profitierten die USA mehr als alle anderen davon, die „einzige Weltmacht“ zu sein. Brzezinski fordert nicht gerade eine Anhebung des Pentagonbudgets, aber wer sich seinen Analysen in der Konsequenz anschließt, wird nicht umhinkommen, sich darum zu sorgen, daß die US-Streitkräfte es weiterhin mit jedem Gegner aufnehmen können. Es gibt ehemalige US-Außenpolitiker, die, außer Dienst, angefangen haben, über die moralische Dimension ihrer Politik nachzudenken. Das bekannteste Beispiel ist der Vietnam-Kriegsminister Robert McNamara. Der frühere Sicherheitsberater Präsident Carters ist da aus anderem Holz geschnitzt. Obwohl sein Dienstherr seine Wiederwahl durch das außenpolitische Desaster der USA im Iran 1979 verlor, ist Brzezinski durch keinerlei Selbstzweifel angekränkelt. Er ist und bleibt ein klassischer Techniker der Macht.

In dieser Liga gehört er aber zweifellos zu den Klügsten. Wenn man einmal davon absieht, daß seine Untersuchung immer unter der Fragestellung stattfindet, wie kann die Macht der USA über einen möglichst langen Zeitraum gesichert werden, bietet er eine interessante und kenntnisreiche Analyse der Problemlage Europas und Asiens. Brzezinski beschreibt einen Kontinent „Eurasien“, der aus amerikanischer Sicht als Einheit gedacht wird. Aus dieser Perspektive ist Europa der westlichste und Japan der östlichste Brückenkopf der USA auf der größten zusammenhängenden Landmasse der Erde.

Erstmals in der Weltgeschichte kommt die entscheidende Großmacht nicht vom eurasischen Kontinent. Die USA brauchen deshalb ihre Stützpunkte in Europa, in Südostasien und im Nahen Osten um nicht aus Eurasien hinausgedrängt zu werden. Denn hier, davon ist Brzezinski überzeugt, wird über die Zukunft der Weltmacht entschieden. Seine Überlegungen beschäftigen sich einmal mit dem „schwarzes Loch“ im Herzen des Kontinents, dem Vakuum, welches die Sowjetunion hinterlassen hat und von dem man noch nicht weiß, wie und ob Rußland es füllen wird, und dem eurasischen Balkan, dem weltweit größten Gebiet gefährlicher Instabilität. Diese Zone zwischen China im Osten, Rußland im Norden, der arabischen Halbinsel im Süden und Osteuropa im Westen ist reich an Rohstoffen, ethnisch bunt gemischt und in der aktuellen staatlichen und territorialen Aufteilung heftig umstritten. Brzezinski fürchtet, daß hier die Kriege der kommenden Jahre stattfinden.

Anders als Huntington, der mögliche Konfliktlinien kulturell überhöht und damit ideologisch neu auflädt, beschränkt Brzezinski sich auf kühle Interessenpolitik. Das ist einerseits angenehm, wirkt nach einer gewissen Zeit aber auch ermüdend. Zu technokratisch, fast schon mechanistisch wird da Machtpolitik im Stil des 19. Jahrhunderts zelebriert. Brzezinski erwähnt zwar, daß amerikanische Machtpolitik sich heute über ein Netz von Institutionen herstellt, die vordergründig gar nicht amerikanischem Machterhalt dienen sollen. Aber da, wo es wirklich spannend wird, hört er auf. Der Mann, der heute wie vor seiner Berufung durch Carter ebenfalls als Professor seine Brötchen verdient, bleibt im Kopf Sicherheitsberater. Welche Rolle die UNO im weltweiten Konfliktmanagement spielen könnte und was die USA dafür tun müßten, kommt bei ihm nicht vor, welche Rolle die großen internationalen Konzerne in der Außenpolitik spielen, erwähnt er nicht. Obwohl Brzezinski neben seinem Uni-Job auch als Berater eines großen Ölkonzerns fungiert, der just im Zentrum seiner Zone der Instabilität, am Kaspischen Meer, engagiert ist, erklärt der Professor uns nicht, wie US-Außenpolitik im Zusammenspiel mit den „global players“ funktioniert, welche Vorreiterrolle die Konzerne übernehmen, wie diplomatische Rückendeckung in einem solchen Fall aussieht und ob der Staat nicht oft nur noch nachvollzieht, was die Konzerne bereits beschlossen haben.

Daß Außenpolitik auch innenpolitischer Zustimmung bedarf, spielt bei Brzezinski nur ganz am Rande eine Rolle. Und daß Außenpolitik auch dadurch beeinflußt wird, daß Menschen sich in Bewegung setzen, um eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung individuell zu korrigieren, kommt in seinem Denken nicht vor. So fraglich die Huntington-Thesen der kulturellen Abgrenzung sind, wenigstens spielen die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen eine Rolle. Brzezinski erwähnt zwar selbst, daß die Welt des Internet nicht mehr mit dem römischen Imperium zu vergleichen ist, daß die Römer von dem zeitgleich existierenden chinesischen Imperium buchstäblich nichts wußten. Aber seine Analyse wird von dieser Einsicht kaum berührt.

Das ist die entscheidende Schwäche des Buches, aber es verweist darüber hinaus auch darauf, wie statisch, wie fixiert auf den jeweiligen Status quo der Macht in den Thinktanks amerikanischer Außenpolitik immer noch gedacht wird. Gerade Brzezinski sollte es besser wissen, schließlich war er dafür verantwortlich, daß die USA sich bis zuletzt an den Schah geklammert haben – ohne zur Kenntnis zu nehmen, was die Bevölkerung mit ihrem Herrscher im Sinn hatte. Jürgen Gottschlich

Zbigniew Brzezinski: „Die einzige Weltmacht“. Beltz Quadriga, Weinheim 1997, 320 S., 39.80 DM