Die schwarzen Ritter

Professionell und unglaublich behende: Das Rugby-Team aus Neuseeland verbreitet Angst und Ehrfurcht  ■ Von Reiner Metzger

Berlin (taz) – Die Fans waren völlig aus dem Häuschen am Samstag im südenglischen Twickenham-Stadion: Ihre Rugby-Nationalmannschaft hatte soeben unentschieden gespielt. „Heldenhaft, episches Zusammentreffen, England hat Blut gezapft“, lauteten die Kommentare der ansonsten um Understatement bemühten seriösen englischen Blätter nach dem 26:26.

Ein Unentschieden löst ansonsten eher Diskussionen um den Trainer aus, schließlich beherrschen Englands Lohengrins mit der Rose auf dem weißen Trikot seit Jahren zusammen mit den Franzosen die nördliche Rugby- Welt. Ob Italiener, Iren oder Kanadier – alle werden abgemeiert. Doch diesmal ging es nicht gegen eine Mannschaft aus der Nordhalbkugel, es ging gegen eine, die nach Aussagen von Beobachtern „überhaupt nicht von dieser Welt“ stammt: die schwarzen Ritter, die „All Blacks“. So nennt sich die Nationalmannschaft aus Neuseeland seit ihrer ersten Europatour 1905. Schon damals traten sie in 15 komplett schwarzen Monturen auf das Spielfeld und gewannen fast alle Spiele.

Seitdem ranken sich Legenden und Geschichten um diese wilde Truppe. Anfangs ein Bund rauhbeiniger Kolonialisten von den Britischen Inseln, sind inzwischen zahlreiche Maori-Ureinwohner integriert. Mit einer Mischung aus unglaublich behenden Riesen, genialem Spielwitz und kompromißloser Härte treiben sie seit Jahrzehnten Gegner in die Depression. Ihre Spieler sehen Lücken auf dem mit 30 Kerlen vollgestellten Feld, die andere nicht einmal erahnen. „Die All Blacks, das ist wie Deutschland und Brasilien im Fußball zusammen“, meinte ein englischer Nationalspieler nach der jüngsten Niederlagenserie.

Einen Monat waren die Neuseeländer auf Tournee durch Großbritannien. Das 26:26 vom Wochenende war ein kleiner Lichtpunkt am Schluß: Die Engländer stürzten sich dermaßen schnell und lebensverachtend auf die „Kiwis“, daß diese erst zu ihrem Konzept fanden, als sie 3:20 hinten lagen. Zum Vergleich: Dem Tor im Fußball entspricht beim Rugby der „Versuch“, das Ablegen des Balles hinter der gegnerischen Torlinie. Er bringt fünf Punkte, ein durch die Torstangen geschossener Strafstoß drei. Die anderen Spiele der All Blacks gegen Briten und Iren endeten irgendwo zwischen 18:11 und 81:3, Tendenz eher bei 81...

Eine Quelle der neuseeländischen Herrschaft ist der Rugby- Enthusiasmus in dem 3,6-Millionen-Einwohner-Land. Rugby ist dort eher Religion als Sport. Für drei Spiele in der Nationalmannschaft hat sich vor Jahren ein Stürmer einmal einen Finger amputieren lassen: Er hatte eine langwierige Verletzung, durch die er eine Tour nach Südafrika, dem Erzkonkurrenten, verpaßt hätte. Also ließ er den lädierten Finger abschneiden, die Wunde heilte schnell, und er war beim Sieg über die „Springböcke“ vom Kap dabei.

In neuerer Zeit ist es vor allem das professionelle Management, das einen Strom gut ausgebildeter Spieler garantiert. Dabei sind die Gehälter nicht hoch. Sie liegen selbst bei Stars wie dem Nationallibero Christain Cullen, der mit atemberaubendem Speed aus dem Nichts zwischen den verdutzten Gegnern aufzutauchen pflegt, im besten Fall bei wenigen hunderttausend Mark im Jahr. In England sind die Gehälter seit der offiziellen Einführung des Profitums vor zwei Jahren doppelt so hoch.

Die New Zealand Rugby Football Union (NZRFU) hat die Spielerauswahl wie eine Pyramide organisiert, vom Schulunterricht über die Provinzmannschaften bis zur Nationalmannschaft. In ständigen Turnieren mit den anderen beiden großen Rugby-Nationen des Südens, Australien und Südafrika, werden 160 Spieler ausgewählt, die dann einen Vertrag vom nationalen Verband erhalten. Für diese Akteure organisiert die Union alles. Bedingung: Sie müssen für heimische Klubs spielen. Dadurch hat der NZRFU auch garantiert, daß die letztendlich auserwählten 30 oder 40 All-Black-Spieler jederzeit für den Nationaltrainer zur Verfügung stehen.

Die Nationale Rugby-Union schwimmt durch die Fernsehrechte an den Straßenfegern der Kiwi-Mannschaft in Geld. Und von adidas kassiert sie ab 1999 45 Millionen Dollar, weil sie die drei Streifen mit ihrem Erfolg vergoldet. Damit die finanzielle Basis auch danach gesichert bleibt, will der Sportverband die Nationalmannschaft an die Börse bringen. Was die Fußballer können, können die Spieler mit dem Ei schon lange. Davon träumen Bertis Bosse noch nicht mal.