„Was macht Ihr nur mit Petra Kelly?“

■ Bärbel Bohley bedauert, daß sie den Grünen diese Frage nie stellte. Die Partei habe Kelly isoliert

taz: Ihre Freundschaft mit Petra Kelly begann schon in der DDR. Wie haben Sie sich kennengelernt?

Bärbel Bohley: Das war 1983. Erich Honecker hatte sie damals zu einem Staatsbesuch eingeladen. Da habe ich sie in einem Brief gefragt, ob sie nicht auch unsere Gruppe „Frauen für den Frieden“ besuchen will. Was sie tat.

Aber nicht unbedingt üblich war für Politiker aus dem Westen?

Allerdings. Die meisten hatten doch Angst. Ganz im Gegensatz zu Petra, die konsequent ihren Status ausnutzte. Sie brachte immer ganz praktische Dinge mit wie Bücher, Druckerpatronen und kleine Geschenke für die Kinder. Bei den Besuchen interessierte sie sich nicht nur für das Politische. Ich habe Petra Kelly als eine sehr intensive Frau kennengelernt. Sie wirkte oft zerstreut, konnte sich aber auch nach langer Zeit an Gespräche erinnern.

Wie reagierte Petra Kelly, als die DDR Sie 1988 direkt aus dem Gefängnis nach England auswies?

Sie hat mir die ganze Zeit geholfen. Man hatte mich mit meinem Sohn nachts um zwei in Magdeburg in einen Zug gesetzt, ohne Fahrkarte, ohne Geld. Wir erhielten die Nachricht, in Bielefeld auszusteigen. Petra und Gert waren die ersten, die kamen. Und das war ganz und gar Petra. Sie brachte einen Kulturbeutel, eine Zahnbürste, Kamm, eine Minibüroausstattung mit. Auch später. War ich zum Beispiel in ihrem Bonner Büro, konnte ich telefonieren, soviel ich wollte. Wir haben zusammen eine Pressekonferenz gegen unsere drohende Ausbürgerung organisiert. Da ist mir klar geworden, daß sich viele gar nicht für unser Problem interessierten. Selbst die Leute aus ihrer Partei sind einfach aus dem Saal gegangen.

Überlegte Petra Kelly aus der Partei, die ihr zunehmend fremder wurde, auszusteigen?

Die Grünen waren so was wie ihr Kind. Und es ist schwer, sein Kind zu verlassen. Ich habe das selbst mit dem Neuen Forum erlebt. Petra aber wollte nicht aus der Partei. Sie hatte sich an die Arbeitsweise und Möglichkeiten eines Bundestages gewöhnt.

Sie hatte einen aufwendigen Arbeitsstil und thematisierte nahezu alle Probleme dieser Welt.

Deshalb ist ihr Verlust ja so groß. Leute wie Petra Kelly gibt es nicht mehr. Von allen politischen Fragen war sie sehr persönlich berührt und hat sich immer engagiert. Petra ging nicht nach Hause und hatte Feierabend. Sie arbeitete rund um die Uhr – und erwartete das von Mitarbeitern.

Hat sie Ihnen von ihren Ängsten erzählt?

Ja. Sie hätte eine Therapie machen müssen. Der enorme Streß, sie stand ständig unter Strom. Ich habe mich oft gefragt, wie das weitergehen soll. Mit Katja Havemann habe ich versucht, Petra und Gert für ein paar Tage nach Grünheide in die Natur zu locken. Ohne Telefon, ohne Fax. Es wurde geplant und geplant, aber eigentlich war es zu einem bestimmten Zeitpunkt klar, daß es nicht dazu kommen wird.

Wie haben Sie das Verhältnis zu Gert Bastian erlebt?

Petra hatte sich zu sehr auf ihn eingelassen. Sie konnte ohne Gert nichts machen. Sie brauchte ihn auf ihren Reisen. Er organisierte alles und fuhr sie. Wenn sie allein war, bekam sie Angst. Gert war eine Krücke, sie konnte sich nicht mehr vorstellen, ohne ihn auszukommen. Dagegen wurde ihr Lebensstil für ihn immer anstrengender. Beide kamen nicht mehr voneinander los. Gleichzeitig war es einfach zuviel. Aber freiwillig trat Petra nicht aus dem Leben.

Sondern?

Die Grünen haben sie wie eine heiße Kartoffel fallenlassen. Petra war die Außenpolitikerin der Grünen. In Amerika kannte niemand die Grünen, aber dafür Petra Kelly. Sie hatte überall in der Welt Freunde. Das hätte die Partei nutzen müssen, anstatt sie zu isolieren. Auf der Beerdigung habe ich viele Leute mit einem schlechten Gewissen getroffen. Mir tut es sehr leid, daß ich mich damals nicht konsequent für Petra eingesetzt habe. Obwohl ich nach 1989 viel zu tun hatte, hätte ich die Grünen fragen müssen: Was macht Ihr nur mit Petra Kelly? Interview: Elke Hagenau