Mehrwertsteuer steigt, Beiträge bleiben

Nach langem Hin und Her will der Vermittlungsausschuß heute eine Mini-Rentenreform beschließen: Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer soll dafür sorgen, daß die Rentenbeiträge nicht noch weiter steigen  ■ Aus Bonn Markus Franz

Am 8. Februar 1996 hatte Bundeskanzler Kohl im Bundestag in Richtung SPD ausgerufen: „Ich weiß, daß Sie eine Mehrwertsteuererhöhung haben wollen. Aber trösten Sie sich: Wir machen es nicht.“ Heute werden sie es doch machen. Im Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat wird die Mehrwertsteuer erhöht – um die Rentenbeiträge nicht von 20,3 auf 21 Prozentpunkte erhöhen zu müssen.

Die wichtigsten Wirtschaftsforschungsinstitute halten die Einigung übereinstimmend für einen Schritt in die richtige Richtung. Der Beschäftigungseffekt sei aber „vernachlässigenswert“. Die Unternehmensverbände sprechen von „Augenwischerei“.

Seit der letzten Erhöhung der Mehrwertsteuer von 14 auf 15 Prozent im Jahr 1993 hatten sich Politiker aller Parteien entschieden gegen eine weitere Erhöhung ausgesprochen. Am 24. Januar dieses Jahres hatte SPD-Chef Oskar Lafontaine gesagt: „Wir werden nicht zulassen, daß bei Arbeitnehmern, Rentnern, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern und Familien Milliarden abkassiert werden.“ Schon eine Erhöhung um einen Prozentpunkt bedeute bei einer Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern Mehrausgaben von jährlich 300 bis 400 Mark. Auch wirtschaftspolitisch sei eine Mehrwertsteuererhöhung ein falsches Signal. Sie treibe die Preise nach oben und schwäche den privaten Verbrauch. Zudem sei die Erhöhung mittelstandsfeindlich.

Lafontaine hatte sich gegen die Mehrwertsteuererhöhung im Zusammenhang mit der von der Regierung geplanten Steuerreform ausgesprochen. Und Bundeskanzler Helmut Kohl wollte sie nicht zugunsten niedrigerer Sozialbeiträge haben. Andere nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern. Die Argumente bleiben aber die gleichen.

Kritiker der Reform sagen, der Staat gebe das Geld mit der Linken und nehme es mit der Rechten. Die Senkung der Rentenbeiträge auf 20,3 Prozent kostet rund 16 Milliarden. Diese Summe soll durch eine Mehrwertsteuererhöhung wieder hereingeholt werden. Draufzahlen werden die Beamten, Selbständigen und Landwirte (etwa zwölf Prozent der arbeitenden Bevölkerung), die keine Sozialversicherungsbeiträge leisten. Sie werden nun über die erhöhte Mehrwertsteuer zur Kasse gebeten. Das ist beabsichtigt. Unangenehmer Nebeneffekt: Betroffen sind auch die Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosen.

Profitieren werden die exportorientierten Unternehmen, weil Exporte von der Mehrwertsteuererhöhung unberührt bleiben. Auch für eine Vielzahl von anderen Arbeitgebern könnte sich unter dem Strich eine Kostensenkung ergeben. Aus diesem Grund gehen die Wirtschaftsforschungsinsitute davon aus, daß nach drei bis fünf Jahren einmalig 70.000 bis 80.000 Arbeitsplätze geschaffen werden können. Dies gilt aber nur, wenn die Mehrwertsteuererhöhung nicht zu höheren Lohnforderungen und mehr Schwarzarbeit führt.

Die Bundesanstalt für Arbeit rechnet mit 10.000 Arbeitsplätzen, das Prognos-Insitut mit gar keinem Effekt. Ein CDU-Haushaltsexperte: „Niemand wird wegen einer Beitragssenkung von 0,35 Prozentpunkten neue Leute einstellen.“ Einige Unternehmensverbände fürchten gar eine zusätzliche Belastung der Arbeitgeber. Angesichts knapper Geldbeutel der Kunden, so der Zentralverband des Handwerks (ZDH), könnten Maler und Kfz-Mechaniker die Mehrwertsteuererhöhung nicht an ihre Kunden weitergeben.

Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) beklagt, daß jetzt der Reformdruck genommen werde. Ohne strukturelle Einsparungen bei den Renten sowie ohne Steuerreform sei alles andere nur Kosmetik. Diese Ansicht teilen neben den Wirtschaftsinstituten auch die Grünen. Laut Prognos steigt das Verhältnis der 60jährigen zu den 20- bis 59jährigen von 35,6 Prozent 1992 auf 66,8 Prozent bis 2030. Die Beitragssätze näherten sich dann der 30-Prozent-Marke.