Volker Rühe dürfte allmählich unbehaglich werden. Von Tag zu Tag zieht die Affäre um den Vortrag des prominenten Neonazis Manfred Roeder an der Kaderschmiede der Bundeswehr weitere Kreise. Die Darstellung des Verteidigungsministers, wonach

Volker Rühe dürfte allmählich unbehaglich werden. Von Tag zu Tag zieht die Affäre um den Vortrag des prominenten Neonazis Manfred Roeder an der Kaderschmiede der Bundeswehr weitere Kreise. Die Darstellung des Verteidigungsministers, wonach die verantwortlichen Offiziere 1995 vom Werdegang Roeders nicht gewußt hätten, wird immer unglaubwürdiger.

„In der Tat eine Sache, die geprüft werden muß“

„Wir werden die Sache weiter prüfen.“ Nahezu jede Frage der Bonner Journalisten mußte der Sprecher des Verteidigungsministeriums gestern mit dieser lapidaren Zusage beantworten. Das Unbehagen stand ihm dabei deutlich ins Gesicht geschrieben, denn von Tag zu Tag zieht die Affäre um den Vortrag des Rechtsextremisten Manfred Roeder an der Führungsakademie der Bundeswehr weitere Kreise. Der Skandal ist möglicherweise noch größer, als ohnehin schon angenommen worden war.

Bislang hatte das Bundesverteidigungsministerium stets betont, der ehemalige Kommandeur der Hamburger Akademie habe erst am vergangenen Freitag überhaupt von dem Vorgang erfahren, ebenso wie Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU). Daran mehren sich nun die Zweifel.

Der neue Kommandeur der Führungsakademie soll mit seinem Vorgänger, Generalleutnant Hartmut Olboeter, bereits bei der Amtsübergabe im Januar 1996 über den Fall Roeder gesprochen haben. „Ich kann das nach den bisherigen Erkenntnissen nicht bestätigen“, teilte der Sprecher des Ministeriums mit. Auch für die Aussage eines ehemaligen Dozenten der Akademie, der zufolge der Militärische Abschirmdienst (MAD) bereits im Sommer 1995 von dem Auftritt Roeders gewußt habe, gebe es „bisher keine Bestätigung“.

Warum gibt es für zwei der drei Fahrzeuge, die die Bundeswehr 1995 kostenlos an Roeder und seine Organisation „Deutsch-Russisches Gemeinschaftswerk“ abgegeben hat und die angeblich für humanitäre Zwecke in der Gegend um Kaliningrad eingesetzt werden sollten, bis heute keine Ausfuhrbescheinigung? Muß geprüft werden. Warum ist das erste Fahrzeug erst im Oktober ausgeführt worden, obwohl Roeder es schon im Januar abgeholt hatte? „Das ist in der Tat ein Zeitraum, der muß überprüft werden.“

Trifft es zu, daß die Fahrzeuge in der Zwischenzeit auf dem Gelände der Führungsakademie abgestellt waren? Muß geprüft werden. Würde das nicht für enge Beziehungen zwischen Roeder und der Akademie sprechen? Muß vielleicht geprüft werden, wenn die vorherige Frage geprüft worden ist. Geht die Hardthöhe Angaben von Manfred Roeder nach, denen zufolge der wegen terroristischer Straftaten veurteilte Extremist ein gutes Verhältnis zur Führungsakademie der Bundeswehr hatte? Ja, dem werde nachgegangen, bestätigte der Sprecher und warnte im übrigen dringend davor, Propaganda von Neonazis „auf den Leim“ zu gehen.

Fehler hat im Zusammenhang mit der Affäre mittlerweile auch das Auswärtige Amt einräumen müssen. Noch am Vormittag hatte Außenminister Klaus Kinkel (FDP) alle Vorwürfe zurückgewiesen. „Die Prüfung dauerte heute morgen noch an“, sagte dazu gestern nachmittag der Sprecher seines Ministeriums. Dann räumte er ein, die zuständigen Beamten hätten „versäumt“, den Hintergrund von Roeders „Deutsch-Russischem Gemeinschaftswerk“ zu prüfen, als sie den Antrag auf kostenlose Abgabe von Bundeswehrmaterial im Juni 1994 befürworteten. Die Organisation war bereits im Verfassungsschutzbericht von 1993 genannt worden.

„Bundesminister Kinkel mißbilligt dies und rügt die Betroffenen“, teilte sein Sprecher mit und verwies auf die damals „sehr prekäre humanitäre Lage“ in der Region um Kaliningrad: „Es ging um Menschen in Not.“ Auch habe der Verfassungsschutzbericht „in vervielfältigter Form“ im Auswärtigen Amt erst im Juni, also nach Billigung des Antrags, vorgelegen. Das verwirrte Journalisten, die den Bericht schon im April auf dem Schreibtisch hatten – wenn auch nicht „in vervielfältigter Form“.

In der Öffentlichkeit wird unterdessen die Kritik an den Vorfällen immer schärfer. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, äußerte in einem Interview Zweifel an der Darstellung des Verteidigungsministeriums, der verantwortliche Stabschef der Führungsakademie habe den Werdegang Roeders nicht gekannt: „Die Verantwortlichen müssen gewußt haben, wen sie einladen.“ Den Hinweis, es handele sich um Einzelfälle, lasse er nicht gelten. Die Häufung neonazistischer Zwischenfälle in der Bundeswehr sei bereits erheblich.

Der CSU-Verteidigungsexperte Kurt Rossmanith nannte gestern die bisher getroffenen Maßnahmen ungenügend und forderte eine umfassende Aufklärung des Vorfalls. Die SPD behält sich als Konsequenz aus der Affäre vor, einen Untersuchungsausschuß zur Klärung rechtsradikaler Vorfälle in der Bundeswehr zu beantragen. Vor einer endgültigen Entscheidung wollen die Sozialdemokraten aber noch die für morgen angesetzte Aktuelle Stunde im Bundestag abwarten. Auf die darf man gespannt sein: „Wir werden vor dem Bundestag alles offenlegen, was wir bisher wissen“, versprach gestern der Verteidigungsminister. Wieviel wird das sein? Bettina Gaus, Bonn