Mit Handicap zum Handicap

■ In Lilienthal soll der erste deutsche Golfplatz für behinderte Menschen entstehen /20 beschützende Arbeitsplätze sind geplant / Der Gründer geht auf Sponsorensuche

Man sollte meinen, daß behinderte Menschen andere Sorgen hätten als ausgerechnet die, wo sie Golf spielen können. Doch das Feuer in den Augen von Herrn Müller (halbseitig gelähmt, 80% invalide) zeigt: Auch unter diesen Menschen gibt es Golfverrückte. Müller kennt Leute, denen ein Arm oder ein Bein fehlt, Querschnittsgelähmte im Rollstuhl, ja sogar von Geburt an Blinde, die noch nie ein Green sahen, und die alle süchtig sind nach dem traditionellen Elitesport.

Müller ist der Vater der Idee, am Rand von Lilienthal, in einer feuchten Wörpewiese, den ersten deutschen Golfplatz für Behinderte anzulegen. Eröffnung 1998. Erstes internationales Turnier 1999.

Das Leben des Fritz-Martin Müller weist einige Merkwürdigkeiten auf, kein Wunder, daß dieser Mann solch ein merkwürdiges Projekt wie den Behindertengolfplatz ausheckt (das Motto heißt tatsächlich: „Mit Handicap zum Handicap“). Erst war Müller Chefarzt der Behindertenabteilung des Evangelischen Hospitals in Lilienthal. Dann legte er sich mit den kirchlichen Hierarchen an und eröffnete eine psychiatrische Praxis. Dann, vor zehn Jahren, hatte er einen schweren Skiunfall, wurde halbseitig gelähmt und selbst behindert.

Einmal verabredete er sich aus einer Stammtischgrille heraus mit einem Golfer zum Ausprobieren in Worpswede. Und es passierte das, was schon der Sportreporter Harry Valerien einmal so umschrieb: „Wenn ich drei Schläge hingekriegt habe, werde ich süchtig.“Müller, bei dem die linke Gesichtshälfte, der linke Arm und das linke Bein ziemlich unbeeinflußbar nach unten hingen, lernte Golf.

Heute spielt er trotz wackeligem Stand und einhändiger Schlagtechnik in einem Leistungsbereich, der ihm Zugang zu anderen deutschen Plätzen ermöglicht. Doch mehr noch: „Dank Golf“, sagt Fritz-Martin Müller, „kann ich wieder gehen.“Kann man es ihm verdenken, daß er in der Sache missionarischen Eifer entwickelt?

Am Falkenberger Kreuz, von wo Straßen nach Bremen, Worpswede, Ritterhude und Ottersberg abzweigen und wo heute noch langhornige kanadische Highland-Rinder grasen, soll auf 16 Hektar mittels Investitionen von einer halben Million Mark eine 9-Loch-Anlage entstehen. Diese Dimensionen reichen bei weitem nicht an gängige Anlagen heran; es handelt sich eher um eine Art Übungsplatz.

Doch mit dem Platz hat Müller geradezu beängstigend viel vor: Es sollen 20 beschützende Arbeitsplätze für Behinderte entstehen, die Jobs reichen vom Rasenmähen über „Wildkrautentfernung“, Einsammeln der Bälle von den „naturbelassenen Restflächen“und Ticketverkauf bis zum Putzen der Bälle und der Organisation des Parkplatzes.

Dann soll der Platz nach Müllers Erfahrung am eigenen Körper der Rehabilitation dienen, zum Beispiel nach Schlaganfall oder Querschnittslähmung. Weiter: Integration. Mitglieder im zukünftigen „Golfclub am Heidberg“sollen je zur Hälfte Behinderte (einschließlich Angehöriger) und Nichtbehinderte sein. Und als reichte das nicht, muß der Platz auch noch ein ökologisches Musterstück sein; die reflexartigen Proteste von Naturschützern bei der Planung eines Golfplatzes blieben in diesem Fall völlig aus, weil Müller sich ganz zu Anfang schon mit der BioS (der Biologischen Station Osterholz) zusammensetzte, welche mit ihm ein uferschnepfenverträgliches Konzept entwickelte. Danach wird gärtnerischer Einfluß nur auf den Bereich der Spielbahnen genommen, wo der Rasen auf 20 mm rasiert wird. Die Restfläche bleibt „gewachsene Kulturlandschaft“mit Hubbeln und Knubbeln und altem Gebäum.

Und insgeheim lacht sich Müller, der gern gegen den „Scheiß-Elite-Sport der Oberschicht“wettert, auch noch ins Fäustchen: Der Lilienthaler Golfclub ermöglicht mit seiner günstigen Mitgliedschaft den Einstieg in die Eliteszene auch solchen, die nicht mal eben 20.000 Mark Einstand hinblättern können. Nicht einmal Clubzwang wird bestehen. Wer sich von einem Trainer attestieren läßt, daß er mehr kann, als den Rasen durchzupflügen, darf gegen geringe Gebühr den Platz bespielen.

Schon Anfang nächsten Jahres wird, unabhängig vom Stand des Genehmigungsverfahren, die erste Hütte fürs Abschlagüben bei Regen stehen. Und dann geht es Zug um Zug. Immer wenn wieder 50.000 Mark neuer Sponsorengelder aufgelaufen sind, wird eine neue von insgesamt zehn Bahnen angelegt.

Als Sponsoren fällt Müller zum Beispiel die „Stiftung für Halbseitengelähmte“ein. Oder Uwe Seeler. Beckenbauer. Und natürlich die gebeutelte Zigarettenindustrie, die bald nicht mehr werben darf. Aber sponsern.

BuS