Stilleben im Zimmerchen

■ „Heinrich Vogeler und der Jugendstil“: Zum 125. Geburtstag würdigt das Künstlerdorf Worpswede an drei Ausstellungsorten das Multitalent

ie schmalen Holzdielen knarren unter den Schritten. Dreißig oder vierzig JournalistInnen und sonstwelche Menschen, die sich durch eine Pressekonferenz angelockt fühlen, drängeln sich im Raum. Er heißt „weißer Saal“, was eine Übertreibung ist. Tatsächlich ist dieser sogenannte Saal mit seinen niedrigen Decken kaum mehr als ein größeres Zimmerchen. Doch für die Gemeinde Worpswede hat der „weiße Saal“im Barkenhoff gleich nach dem Ortsschild links einen großen Wert. Genauso wie das Multitalent, das es vor einem Jahrhundert einrichtete: Heinrich Vogeler sein Name.

„Heinrich Vogeler und der Jugendstil“ist eine Ausstellung betitelt, mit der die ehemalige Künstlerkolonie im Teufelsmoor zum 125sten Geburtstag am 12. Dezember in diesem Zimmerchen, anderen Worpsweder Zimmerchen und einem echten Saal einen Rummel machen will. Größer, umfangreicher, würdigender als alles zum Thema Vogeler und Jugendstil, Vogeler und Rilke oder Vogeler und der Kommunismus jemals zu sehen war, betonen die AusstellungsmacherInnen und danken dabei zahllosen, vor allem privaten LeihgeberInnen.

Ob die Dielen damals genauso geknarrt haben? Damals, um die Jahrhundertwende, als sich die Ehepaare Rilke, Modersohn und Vogeler zum sonntäglichen Lesen, Musizieren und Diskutieren im „weißen Saal“trafen? Der erste Ansturm bei der gestrigen Vorbesichtigung trampelte solche Überlegungen beinahe nieder. Und ein ähnliches Walzen wird sich zwischen der Ausstellungseröffnung am morgigen Freitag und der Finissage Ende Mai wiederholen. Denn 50.000 BesucherInnen wünscht sich Cornelia Baumann, die Geschäftsführerin der ausstellungsverantwortlichen Barkenhoff-Stiftung. Man sucht sich also nach Möglichkeit stille Tage, um den „weißen Saal“, den mit einer viertel Million Mark aus Niedersachsen zum Teil riechfrisch renovierten restlichen Barkenhoff und die anderen beiden Ausstellungsorte – Große Kunstschau und Haus im Schluh – zu erkunden. Dann kann einem geschehen, was dem 1872 in Bremen geborenen Heinrich Vogeler geschah: Eine Liebesgeschichte.

„Während der letzten Verse“, schrieb der 21jährige Heinrich Vogeler 1894 ganz im Jugendstil über seinen ersten Worpswedebesuch, „kam aus dem Eichengebüsch ein hellgekleidetes, schlankes, blondes Mädchen mit hängendem Zopf. Auf der Hand trug es eine zahme Elster. Vierzehn Jahre mochte es sein ... Das muß die Martha Schröder sein ... fühlte ich sofort. Der Eindruck dieser jungen elastischen Mädchengestalt wirkte auf mich wie etwas tief in mein Leben Eingreifendes.“Sieben Jahre später haben Heinrich Vogeler und Martha Schröder geheiratet.

Als „Mutter und Kind“hängt ihr Portrait im „weißen Saal“. Als Frauengestalt der „Sehnsucht“ist sie in der Kunstschau zu erkennen. Nicht weit entfernt taucht sie als „Martha Vogeler im Barkenhoff“wieder auf. Und selbstredend begegnet man ihr auch beim berühmten Bild „Sommerabend“wieder. „Es war typisch für Jugendstilkünstler, die Ehefrauen zu idealisieren und sie mit Frühling und Aufbruch in Verbindung zu bringen“, sagt die Ausstellungskuratorin Vera Losse. Freilich hat sie Recht: Vogeler idealisiert „seine“Martha. Und doch ist da mehr.

Mehr Idealisierung vor allem – bei anderen Bildthemen, in anderen Sparten. Denn Heinrich Vogeler arbeitete nicht nur als Maler. Als Inneneinrichter gestaltete er neben dem Barkenhoff unter anderem die Güldenkammer im Bremer Rathaus. Als Architekt entwarf er Bahnhöfe unter anderem in Worpswede oder Wohnhäuser. Als Graphiker illustrierte er Bücher oder Wandschmuck, und als Designer schuf er Bestecke, Toilettenartikel oder Möbel. Trotz oder wegen dieser Vielseitigkeit wurde und wird ihm von der Nachwelt vorgeworfen, bloß ein Epigone, ein Nachahmer, zu sein.

Da reagiert Vera Losse entschieden: „Der Vorwurf des Epigonalen ist ungerecht“, sagt sie und führt zur Verteidigung an: „Als Jugendstilmaler hatte er Geltung, und mindestens bis 1905 war er ein sehr bedeutender Buchgraphiker.“

Bis 1905 ...? Das klingt nach Zäsur, und ist auch eine – nicht die einzige. Bis 1905 interessierten sich der Insel-Verlag und andere Auftraggeber für die floral-ornamentalen Entwürfe, die Vogeler nicht nur in Deutschland bekannt machten. Danach kam Abstrakteres in Mode – Vogeler wandte sich stärker der Innenarchitektur zu, bis sich um 1912 erneut eine Art Zäsur ankündigte.

„In der Hoffnung, neue künstlerische Orientierungen zu finden, unternimmt er zahlreiche Studienreisen“, schreibt Vera Losse im aufwendig gestalteten, aber nicht durch eine besonders kritische Rezeption auffallenden Katalog. 1914 meldet sich Vogeler als Kriegsfrei-williger und sorgt so selbst für die größte Zäsur – die Zweiteilung von Leben und Werk in die Phase des bürgerlichen Jugendstil-künstlers und in die des Kommuni-sten Vogeler, der sich von seiner Frau Martha trennte und in die Sowjetunion ging.

„Diese Zweiteilung ist gar nicht so kraß wie bisher angenommen“, hat Vera Losse bei der Vorbereitung der Ausstellung herausgefunden. Schon vor 1914 habe er engen Kontakt mit Gewerkschaftern gehabt und ganz bewußt auch Häuser für Arbeiter entworfen.

Und wenn man sich die späten Bilder in Erinnerung ruft, in denen er Kubismus, Expressionismus und Futurismus – epigonal – für sich entdeckte, hat er bloß die Themen der Idealisierung vertauscht, nicht aber die Idealisierung selbst.

Vor dem 1. Weltkrieg waren Märchen und Mythen die bevorzugten Motive. Technisch kennzeichneten silhouettierte Konturen und Symbolisierungen seinen Stil, inhaltlich Rittergestalten, verklärte Legendenfiguren – nicht selten an den Grenzen zum Kitsch. Es sei denn, er hat sein liebstes Modell jener Zeit gemalt: Martha, der er bis heute beeindruckende Denkmale setzte.

Während auf dem Bild „Sommerabend“die anderen Frauen regelrecht rummuffeln, steht Martha am Zauntor und schaut halb melancholisch, halb sehnsüchtig in eine unbestimmte Ferne.

Immer wieder hat sie diesen Ausdruck, der sich von anderen Portraits und vor allem den Mythenbildern abhebt. Da ist eine Versuchung, in diesen Gegensätzen von einer Fin-de-Siècle-Stimmung oder gar einer Katastrophenahnung zu phantasieren.

Da ist aber die größere Versuchung, an einem Tag möglichst ohne Ansturm und Walzen einfach nur von diesen Bildern fasziniert zu sein – in einem Zimmerchen namens „weißer Saal“und anderswo.

Christoph Köster

„Heinrich Vogeler und der Jugendstil“, bis zum 24. Mai im Barkenhoff, in der Grossen Kunstschau und im Haus im Schluh in Worpswede; Katalog 49 Mark