Eine Koalition des Stillstands

■ Die heutige Generaldebatte zur Verabschiedung des Haushalts zieht auch politisch Bilanz. Bei der letzten Debatte markierte die "Ratten-Rede" von CDU-Fraktionschef Landowsky eine Zäsur der Koalition Von Dorot

Von Dorothee Winden

Es gibt wenige Parlamentsreden, die in Erinnerung bleiben. Die „Ratten-Rede“, die CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky im März bei der Abschlußdebatte zum Haushalt 1997 hielt, gehört dazu. Darüber hinaus markierte sie auch eine Zäsur der Großen Koalition. „Es ist nun einmal so, daß dort, wo Müll ist, Ratten sind, und daß dort, wo Verwahrlosung herrscht, Gesindel ist. Das muß in der Stadt beseitigt werden“, hatte Landowsky gesagt und damit eine Welle der Empörung ausgelöst.

Die Rede, auf die SPD-Fraktionschef Klaus Böger ungewöhnlich scharf reagierte, wurde zum Wendepunkt für die SPD. Im ersten Jahr der Legislaturperiode, als noch der Schock über das miserable Wahlergebnis nachwirkte, hatte die CDU das Heft in der Hand gehabt. Doch nun manövrierte Fraktionschef Böger die SPD aus der Defensive. Eine Gelegenheit, die CDU in die Bredouille zu bringen, war schnell gefunden. Im bereits ein Jahr währenden Koalitionsstreit, ob zur Entlastung von Kultur- und Wissenschaftssenator Peter Radunski (CDU) ein zweiter Staatssekretär eingestellt werden dürfe, blieb die SPD hart. Dies komme aus Kostengründen nicht in Frage. Der zweite Staatssekretär dürfe allenfalls aus dem Kreis der in den einstweiligen Ruhestand versetzten Staatssekretären rekrutiert werden. Die CDU mußte schließlich den früheren Kulturstaatssekretär Lutz von Pufendorf reaktivieren.

Auch bei der Entscheidung um den Verkauf der Bewag zeigte die SPD Biß. Auf die permanenten Störmanöver von Klaus Landowsky, der erst die Verhandlungsführung von Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) attackierte und dann am Vertrag herummäkelte, reagierte die SPD scharf. Böger drohte der CDU mit Neuwahlen, wenn sie dem Verkaufsvertrag nicht zustimme.

Anfang Juni stellte die SPD Bedingungen für den Fortbestand der schwarz-roten Koalition: dazu zählte neben der Parlamentsreform auch die Bezirksreform. Bereits im Dezember 1996 hatte Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) dem Senat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine Verringerung von 23 auf 12 Bezirke vorsah. Doch die CDU verlegte sich auf Hinhaltetaktik. Bei einer Sitzung des Koalitionsausschusses Ende Juni nötigte Böger dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) die Zusage ab, die beschlossene Bezirksreform auch umzusetzen.

Der steigende Druck der SPD blieb nicht wirkungslos. Die Klage, daß die eigene Partei in der Großen Koalition an Profil verliere, war bis dahin vor allem aus der SPD zu hören gewesen. Doch nun schallte auch Diepgen diese Klage aus den eigenen Reihen entgegen. Die Diepgen-Kritiker, die sich in der „Union 2000“ zusammengefunden haben, wurden durch die zunehmenden Unzufriedenheit in der CDU-Fraktion gestärkt.

Zum Unbehagen darüber, daß die Sozialdemokraten der CDU die Führungsrolle in der Koalition streitig machen, kommt die fehlende Perspektive der CDU. Das Leiden am Koalitionspartner hat die Schmerzgrenze längst überschritten, kaum noch ein Christdemokrat will eine dritte Legislaturperiode mit der SPD. Damit sitzt die CDU in einer strategischen Falle. Denn im Gegensatz zur SPD hat sie keinen anderen Koalitionspartner. Die Liberalen bewegen sich konstant an der Drei-Prozent- Grenze und dürften den Sprung ins Parlament auch 1999 kaum schaffen.

Als sich SPD-Fraktionschef Klaus Böger Mitte November in einem BZ-Interview für eine rot- grüne Regierung nach der nächsten Wahl aussprach, schlugen die Wogen in der CDU hoch. Wenn zur Halbzeit der Koalitionspartner die Wähler bereits vorsichtig auf die Alternativen einstimmt, ist die Erosion der Großen Koalition offensichtlich.

Zur Halbzeit wird die Zweckgemeinschaft nur noch durch den Mangel an Alternativen zusammengehalten. Zum jetzigen Zeitpunkt sind Neuwahlen nicht opportun. Der Wähler würde es kaum honorieren, wenn die verkrachten Koalitionspartner das Handtuch würfen.

Wie groß die Große Koalition noch ist, zeigte vor kurzem die gescheiterte Wahl der CDU-Kandidaten für den Medienrat. Vieles spricht dafür, daß die fehlenden Stimmen auf das Konto von CDU- Parlamentariern gehen. So offenbart die Wahl zum Medienrat eine neue Variante der Koalitionskrise: Verliefen die Fronten vormals zwischen den Koalitionspartnern, ziehen sie sich jetzt quer durch die Fraktionen von CDU und SPD. Ein ähnliches Szenario droht bei der Abstimmung über die Bezirksreform: Bislang konnten beide Parteien die Dissidenten in ihren eigenen Reihen nicht auf Linie bringen. Die Legitimation der Großen Koalition ist jedoch in Frage gestellt, wenn sie nicht mehr über ihre verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit für Reformprojekte verfügt.

Auch wenn die SPD seit März in die Offensive gegangen ist, konnte sie die Blockadehaltung der CDU an vielen Punkten nicht durchbrechen: Eine nennenswerte Verkleinerung des Parlaments scheiterte ebenso am Widerstand der CDU wie eine Verringerung der Staatssekretäre auf einen pro Ressort. So bleibt die Große Koalition unterm Strich eine Koalition des Stillstands.