Gebrauchsmusik und kritische Opern

■ Das Symposion zu Paul Dessau vom letztjährigen Musikfest liegt jetzt als Buch vor

Als musikalischer Gründervater der DDR schrieb Paul Dessau neben Hanns Eisler drei Jahrzehnte ostdeutscher Musikgeschichte. Doch berühmt ist er deshalb in Westdeutschland nicht. In den meisten Anthologien wird der gebürtige Hamburger mit einem Satz erledigt. Auf der diesjährigen Berliner Biennale, dem über die Einheit geretteten Forum für zeitgenössische Musik in der DDR, war der meistgespielte Komponist im sozialistischen Nachbarstaat gerade mit einem zehnminütigen Instrumentalmarginalium vertreten, trotz 60er-Jahre-Retrospektive.

Anläßlich seines 100. Geburtstags 1994 stellte seine Vater- und Mutterstadt Hamburg Dessau ins Zentrum des letzten Musikfestes. Die Wortbeiträge des angeschlossenen Symposions sind nun in dem Buch Paul Dessau – Von Geschichte gezeichnet zusammengefaßt erschienen.

Die 13 Facetten fügen sich zum Bild eines politisch wachen Künst- lers, dessen Schaffen stark von den Lebensumständen geprägt ist. Dessau war weder ein revolutionärer Komponist, noch ein willenloser Parteimusikant – ein Image, das ihm im Alter anhaftete. Zu Beginn der 30er Jahre war seine Musiksprache up to date, so Peter Petersens Analyse, aber ganz „der Zeit verhaftet“. Flott und plastisch gibt Marie-Luise Bolte einen Eindruck von seinen Filmkompositionen dieser Jahre. Dessau versprach sich eine große Massenwirkung vom neuen Medium.

1933 emigriert der jüdische Deutsche nach Paris. Im saloppen Vortragston beleuchtet Thomas Phleps die dunklen Jahre im Exil. Das Klavierstück Guernica, nach dem Gemälde Picassos, ist nicht nur Beispiel eines emanzipierten Kompositionsstils, sondern auch Ausdruck persönlicher Hoffnungslosigkeit. Später in Amerika trifft Dessau den verehrten Arnold Schönberg, eine Beziehung, die Frank Schneider gut dokumentiert und anekdotisch skizziert. In diese Zeit fällt auch die Begegnung mit Bert Brecht und der Beginn einer Zusammenarbeit, die sich in der DDR fortsetzt.

Der Kommunist Dessau kehrte 1948 nach Berlin zurück. Er wollte politischen Einfluß nehmen. Musikalische Basisarbeit leistete er mit sozialistischer Gebrauchsmusik, dem Aufbaulied, dem Zukunftslied. Aber es sind seine Opern, mit denen er kritisch Stellung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit bezieht und die ihm öfter als einmal den Zorn der Partei zuziehen. Der spektakulärste Fall war wohl die „Lukullus-Debatte“ (spannend von Gerhard Müller erzählt). Der Komponist mußte sich gegen den gefährlichen Formalismus-Vorwurf wehren und entging nur knapp einer Anklage nach stalinistischem Vorbild.

Dessau verhielt sich oft konziliant, doch ein Opportunist war er nicht. Sein kompliziertes Taktieren, seinen Einsatz für fortschrittliche Musik, die ständigen Einmischungen der Partei in seine Arbeit und seine Kompromisse, schildert Fritz Hennenberg sachkundig.

In Gerd Rienäckers pathosgeladener Interpretation erscheint Dessau als Utopiker, dessen Schaffen bis zuletzt vom Widerspruch zwischen kommunistischem Ideal und sozialistischer Wirklichkeit zeugt. Ob Spinoza für Dessaus Ethik wirklich die Rolle spielte, die Sigrid Neefe ihr zuweist, scheint zweifelhaft.

Die Autoren seien namhaft, heißt es im Vorwort, mehr erfährt der Leser leider nicht über sie. Viele Notenbeispiele bleiben, auch wegen fehlender Erklärung der Abkürzungen, nur Eingeweihten verständlich. Unterm Strich: gerade wegen der unterschiedlichen Perspektiven eine informative Materialsammlung. Hilmar Schulz

Paul Dessau – von Geschichte gezeichnet; Hrsg: Klaus Angermann; Wolke Verlag, 208 S., 38 Mark