Geölte Selbstverständlichkeit

■ Musikhalle: Günter Wand brucknerte für einen guten Zweck

Es ist Günter Wand, unser Günter Wand. Bereits wenn der alte Mann sich seinen Weg durch die Reihen der NDR-Sinfoniker bahnt, schwillt der Applaus auf mittlere Sturmstärke an. Denn schließlich reißt sich alle Welt um den 83jährigen, London, Chicago, Tokio, doch nur bei uns ist er zu Haus.

Innerhalb der letzten Dekade ist Günter Wand zu einer Institution geworden, zum unumstrittenen Glanzpunkt des ansonsten arg gebeutelten Kulturlebens der Hansestadt. Außer ihm vermag nur noch Ballettdirektor Neumeier dieses stolze Leuchten des Lokalpatriotismus in den Augen der Hamburger von der Seniorin bis zum Studenten zu entfachen. Egal, womit die aus Köln oder Berlin prahlen mögen, wir haben den musikalischen Supertrumpf noch im Ärmel.

Von der einheitsstiftenden Weisheit des großen Alten zeugt, daß er seit langem nur noch die Klassiker dirigiert: Mozart, Beethoven, Brahms, Bruckner, auf jegliches neutönerische Gelärme verzichtet. Ein volles Haus ist ihm so stets sicher, genauso die Standing Ovations als Krönung jedes Konzertabends. Der vergangene Dienstag war zudem einem guten, sozialen Zweck geweiht: Eine Ambulanz für erwachsene Mukoviszidose-Kranke soll mithilfe der Eintrittserlöse aufgebaut werden. So verkündete es die Präsidentengattin Christiane Herzog, solcherart die Tradition der um Kultur und Soziales bemühten First Ladies fortführend.

Bruckners Achte, dieser sinfonische Achttausender des frommen Österreichers, stand diesmal auf dem Programmzettel der musikalischen Feierstunde in der Musikhalle. Ehrfurchtsvolle Stille war das Gebot, und selbst das ausgedehnte Adagio, dessen andächtig-erhabene Atmosphäre ansonsten regelmäßig durch brachiale Hustensalven torpediert wird, konnte seine Klangreize ohne akustische Konkurrenz entfalten.

Zweimal haben Orchester und Dirigent das Werk bereits zusammen eingespielt, etliche Male im Konzertsaal zur Aufführung gebracht. Die Partitur sitzt, das zweifellos. Jeder Musiker weiß schon im voraus, wie der Meister die Phrasierungen und Einsätze wünscht. Die geölte Selbstverständlichkeit, mit der der romantische Koloß abgespult wurde, ließ jedoch an diesem Abend Wands seit jeher schon flüssig-unpathetische Werksicht ins Belanglose kippen. Bedrohlichkeit und Idylle, gewaltige Steigerungen und befreiende Höhepunkte, all das wurde eher beiläufig vermittelt, ohne daß ein sinfonisches Gemälde entstanden wäre, der einem den Atem benommen hätte. So aber blieb unterm Strich nur gediegene Sorgfalt, immerhin für einen guten Zweck.

Jörg Königsdorf