Haß und bittersüßer Schleim

■ Eine schöne Zumutung: „Tatar Titus“im TiK

Ist es anmaßend, freiwillig zahlendes Theaterpublikum mit einem Stück zu konfrontieren, das zum Großteil unverständlich bleibt? Nicht immer. Tatar Titus. Extrakt kann es sich leisten, weil es von einer einfachen Prämisse ausgeht. „Man braucht das Publikum nicht für dümmer zu verkaufen als es ist“, sagt Autor Albert Ostermeier, und die Reaktionen der Zuschauer geben ihm Recht. Sie hätten ja weglaufen können. Sind sie aber nicht.

Statt dessen blieben sie am Mittwoch im TiK sitzen und hörten sich die Tirade des Titus an. Die von Shakespeare ausgeliehene Figur ist bei Ostermeier ein gescheiterter Dichter, der sich an die Macht verkauft hat und von ihr in den Dreck zurückgestoßen wurde. Er lamentiert vor seiner Tochter Lavinia, kommentiert seinen Untergang, ergeht sich in Selbstbezichtigungen. Eine sehr abstrakte Persönlichkeit, die sich da über „das beutelvolk“erheben wollte und die nun dem Publikum einen beständigen Regen aus Textbrocken zuwirft.

Was aufgefangen wird, sind überwiegend lyrische Reizbegriffe. der tod kommt öfter vor, dazu untergang und haß, folter und bittersüßer schleim – genau so konsequent klein gesprochen, wie die Vorlage kleingeschrieben ist. Es verlangt eine große Portion Anstrengung, aus dieser Wörterlawine einen Sinn zu extrahieren, und dann scheint dieser auch noch ziemlich billig zu sein: Man sollte sich nicht vor den Mächtigen prostituieren, denn das geht schief. Ist in Ordnung, Titus.

Wie kann das Stück eine solche Zumutung und gleichzeitig so schön sein? Schuld ist Regisseur Hartmut Wickert. Mit Unterstützung von Juror Wolfgang Höbel hat er den Text bei den diesjährigen Hannoverschen Autorentagen auf die Bühne gebracht, und seine Werkstattinszenierung war es, die im TiK zu Gast war. Er präsentierte Ostermeiers tückischen Wortangriff stilsicher, pointiert und voller Überraschungen, aufgelockert mit akustischen und visuellen Kontrasten. Schuld ist auch Hauptdarsteller Hannes Hellmann, der zusammen mit Susanne Wolf bis zuletzt für Spannung sorgte und dem Titus immer neue Konturen verlieh. Und besonders große Schuld trägt Ostermeier selbst, weil er es gewagt hat, Tatar Titus als Theatertext zu deklarieren.

Das Experiment hat funktioniert und wird wiederholt. Wickerts Inszenierung wird aber im TiK noch (mindestens) einmal zu sehen sein. Ein Termin steht leider noch nicht fest. Also: Augen auf und schon mal die Gehirnzellen abstauben.

Barbora Paluskova