„Alle Kapitalisten sind Verbrecher“

■ Buchhandlung Leuwer erfindet die Kriminacht, und Nina Schindler tranchiert den Krimi

Krimis sind das beliebteste Genre der Unterhaltungsliteratur, ein Massenphänomen, zu dem sich nur einige wenige bekennen, vor allem nicht die bürgerlich Alternativen, die den Mythos einer unbeugsam humanistischen Hochkultur zu verteidigen haben. „Krimis, nein, wie primitiv“, ruft das LehrerInnenpaar mit eingebauten Theater- und taz-Abos. Für „Sex & Crime“ist kein Platz zwischen den repräsentativen Büchern im skandinavischen Kiefernkitschregal, ach, der „Jerry Cotton-Sammelband“, das war mal Strandkorb-Lektüre auf Bornholm, gehört eigentlich in den Keller zu den Flohmarktsachen.

Im Hildesheimer Claassen-Verlag ist mit dem „Mordsbuch“das erste Standardwerk der Krimi-Sekundärliteratur in deutscher Sprache erschienen, um dem Kriminalroman die Ehre zu retten und Interessierte in die vielen Facetten des Genres einzuweihen. Über siebzig AutorInnen und JournalistInnen konnte die Bremer Herausgeberin und ehemalige taz-Autorin Nina Schindler für das Projekt gewinnen, und das Ergebnis ist ein vorbildlicher Abriß popularkultureller Wurzeln. Sub-Genres und Spielarten vom Katzen- bis zum Kinder-Krimi werden einsortiert und Krimis im Spiegel der jeweiligen Zeit betrachtet.

Unter „Alle Kapitalisten sind Verbrecher“wird der subversive Gehalt von DDR-Krimis beleuchtet und überaus kompetent ein abgeschlossener Zeitraum analysiert, ohne die akademische Nebelmaschine einzuschalten. Mord ist eine ernste Sache.

Das Buch ist umfassend und von schwarzem Humor durchzogen, hochgradig lehrreich also und trotzdem erquicklich zu lesen. Die populärsten Krimi-Varianten werden mit eigenen Krimibaukästen parodiert, und nebenbei erfährt man erstaunliche Dinge. Zum Beispiel, daß die Bänkelsänger des 15. Jh. die Urahnen von Krimiautoren und Boulevard-Journalisten waren und daß sie damals schon mit bemalten Wachstüchern als „Flipcharts“gearbeitet haben, die wiederum als Vorläufer von Comics gelten. Endlich erhält man Aufklärung darüber, daß die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften aus „Volkswartbund“und „Bischöflicher Arbeitsstelle für Fragen der Volkssittlichkeit“hervorgegangen ist, daß die Firma Boss zu anderen Zeiten noch Anzüge für die SA hergestellt hat und viele andere nützliche Fakten für Talkshows und Trivial Pursuit.

„Es hat sich zwar ein Mitglied der Sherlock Holmes-Gesellschaft beschwert, daß Sherlock nicht der richtige Platz zugewiesen wurde, aber ansonsten gab es sehr viel überschwengliche Stimmen von Brigitte bis Bravo“, sagt Nina Schindler bei einem Schoppen Wein in der Buchhandlung Leuwer am Wall. Dort wurde das Buch im Rahmen der ersten „Bremer Kriminacht“gebührend gefeiert. „Ich bin jetzt von der Fanin in den inneren Zirkel der Krimi-Gesellschaft aufgestiegen und habe heute die letzten Weihen empfangen.“

Bereits am Nachmittag vertrieben sich einige Autoren die Zeit am kalten Buffet und suchten das Gespräch mit der spärlichen Vorweihnachtskundschaft, die sich in den Regen gewagt hatte. Aber erst am Abend füllte es sich im mordsmäßig dekorierten Obergeschoß zu Krimi-Spiel und Lesung mit Jürgen Alberts und anderen. Ein freundlicher kleiner Zirkel von älteren Herren plauderte über seltsame Gesprächsthemen, die nichts mit den weltfremden Spinnereien von Science Fiction-Vereinen zu tun haben. Etwas überdekoriert mochte sich allerdings die arme Verkäuferin vorkommen. Als Sherlock Holmes verkleidet, erinnerte sie ein wenig an Ehepaare mit Klingonen-Strampelanzügen im Partnerlook.

StErn

Nina Schindler (Hrg): „Das Mordsbuch“. 540 S., 58 DM, Cla-asen Verlag