Wenn die Umwelt sich taub stellt

■ Gehörlose beklagen unnötige Hürden im Alltag MedizinerInnen häufig unsensibel: zu wenig Zeit für PatientInnen

Auf einer Diskussionsveranstaltung des „Hör-Beratungs- und Informations-Zentrums“ am Montag erhoben Gehörlose schwere Vorwürfe. In weiten Teilen des öffentlichen Lebens fühlen sie sich trotz Grundgesetzänderung noch immer diskriminiert. Vom Fernsehen, das nur wenige Sendungen mit Videotext untertitelt, bis hin zur U-Bahn, in der Stationen nur akustisch angekündigt werden, haben sie im Alltag Hürden zu bewältigen, an die Hörende selten denken. Vier im Erwachsenenalter ertaubte Frauen und Männer warfen denjenigen, die berufsbedingt am meisten Verständnis haben müßten, die größten Defizite vor: Gerade ÄrztInnen mangele es an Gesprächsbereitschaft und Sensibilität.

Die Erlebnisse der 30jährigen Andrea Siepmann sprechen für sich: Von ihrer Taubheit informierte sie ein Klinikarzt, der ihr die Neuigkeit in zwei Sätzen auf einen Zettel schrieb, und anschließend das Zimmer verließ. Ein anderes Mal mußte sie im Warteraum einer Hals-Nasen-Ohren-Ärztin zwei Stunden warten, weil die Sprechstundenhilfe sie nur über Lautsprecher aufrief. Von keinem der Mediziner sei sie jemals über Rehabilitationsmöglichkeiten wie Sprachunterricht informiert worden.

Eine HNO-Krankenschwester sowie ein Fachmann für Innenohr-Implantate wiesen solche Vorwürfe zurück. Es sei üblich, daß Klinikpersonal geschult werde und Patienten intensiv berate, erklärten sie. Lediglich Dr. Felix Mautner, Spezialist für Hörfehler im AK Ochsenzoll, räumte ein, daß Krankheitsgespräche mit Ertaubten „in der medizinischen Routine nicht leistbar“ seien; mindestens zwei Stunden nehme ein solches Gespräch in Anspruch.

Die sehr persönlichen Berichte der Betroffenen verdeutlichten: Hörverlust bringt eine komplette Neuorganisation des Lebens mit sich. So berichteten die RednerInnen, die sich selbst nicht hörten, wie sie ihre Berufe aufgeben, ihre Hobbies ändern mußten und nun vollkommen auf das Wohlwollen ihrer Mitmenschen angewiesen sind: „Das fängt beim langsamen und deutlichen Sprechen an, beim Wiederholen, wenn man etwas nicht verstanden hat. Und letztendlich muß man immer hoffen, daß der Gesprächspartner bereit ist, aufzuschreiben“, führt die ehemalige Bankerin Ute Schopenhauer aus. Timo Hoffmann