Strahlenfracht durch Hamburg

■ Hochradioaktiver Doppel-Castor-Transport passiert Hamburg-Barmbek / Nuklearwissenschaftler warnt vor Neutronenstrahlung Von Kai von Appen

Ein Doppel-Castor-Transport mit angebrannten Brennelementen aus dem Atomkraftwerk Brunsbüttel ist gestern nachmittag durch das Hamburger Stadtgebiet gerollt. Urspünglich sollte der hochradioaktive Atommüll direkt die City und um 14.45 Uhr den Hauptbahnhof passieren, doch dann leitete die Bundesbahn den Strahlenzug über die Nebenstrecke durch das dichtbesiedelte Barmbek um. Dennoch machten sich im Hauptbahnhof rund 50 AtomgegnerInnen ihrem Unmut Luft: „Stopp den Castor – Stillegung aller Atomanlagen!“

Es ist bereits der zweite Brennelemente-Transport in diesem Monat, der über Hamburger Territorium geht. Ein weiterer Zug mit Brennelementen aus dem Hamburger HEW-Atommeiler am Nord-Ostsee-Kanal soll bereits am 11. September folgen. In den Behältern des „Typ TN“, der dem für den Brennstäbe-Transport aus dem Atomkraftwerk Philippsburg in das Zwischenlager Gorleben verwendeten „Castor 2a“ gleicht, lagern hochradiokative Brennstäbe für die französische Wiederaufbereitungsanlage La Hague.

Während die Strahlenfracht vor zwei Wochen über die Trasse Elb-gau-, Holstenstraße, Hauptbahnhof, Harburg in den Rangierbahnhof Maschen geleitet wurde, nahm dieser Strahlenzug kurzfristig den alten Weg über Barmbek, direkt über die ramponierte Alte-Wöhr-Brücke. Dieses Vorgehen ist nach Meinung von GAL-Atom-Experte Dirk Seifert unzulässig.

„Der Transport dieser hochgefährlichen Brennelemente durch dichtbesiedelte Hamburger Wohngebiete ist unverantwortlich“, so Birte Priebe, Sprecherin des Anti-Atom-Büros: „Kommt es nach einem Unfall zur Freisetzung von Radioaktivität, müßten große Teile Hamburgs für Jahre gesperrt werden.“ Auch der Zwischenstopp im Rangierbahnhof Maschen – wo der Doppel-Castor in einen Normalgüterzug eingeliedert wird – ist nach Auffassung der Atomgegner mit einem hohen Risiko behaftet. Hier war erst am Sonntag ein Kesselwagen mit hochexplosiven Phosphorsulfit leckgeschlagen, so daß große Mengen des Giftes freigesetzt wurden. Birte Priebe: „Wenn ein solches Explosionsunglück geschieht, während sich ein Castor im Bahnhof befindet, sind die katastophalen Ausmaße kaum ausdenkbar.“

Inzwischen verstärken sich selbst innerhalb der Polizei – ein Waggon mit Bundesgrenzsschützern begleitete gestern den Doppel-Castor – und der Eisenbahnergewerkschaft die Bedenken, ob derartige Transporte überhaupt noch zugelassen werden dürfen. Nach einer Studie des Marburger Nuklearwissenschaftlers Horst Kuni setzen die geschlossenen Castor-Behälter immer noch so viel Neutronenstrahlung frei, daß die zulässigen Grenzwerte überschritten werden. Dies betrifft daher möglicherweise nicht nur ahnungslose Reisende an den Bahnhöfen, sondern besonders das begleitende grünuniformierte Bewachungspersonal.

Nach den bisherigen Planungen soll der Castor heute Maschen verlassen, damit die Brennelemente in der Wiederaufbereitungsanlage der Firma „Cogema“ in La Hague aufbereitet werden können. Dort wird Uran und Plutonium aus den Nuklearstäben herausgefiltert, um die Elemente danach „endzulagern“. Das Uran und Plutonium kann wiederum gesammelt und für den Bau französischer Atombomben verwendet werden, deren Prototypen demnächst im Mururoa-Atoll getestet werden sollen.