Eine deutsche Vita

Rudolf Bahro, Jahrgang 1935, Flüchtlingskind aus Schlesien. Verliert sehr früh seine Mutter, Mutterersatz wird die Partei. Bahro beweint mit 17 unter der FDJ-Fahne Stalins Tod, später beklatscht er den Mauerbau. Nach dem Studium der Philosophie ist er Redakteur einer Dorfzeitung im Oderbruch, dann redigiert er die Greifswalder Universitätszeitung. 1962 wechselt er in die Gewerkschaftszentrale Wissenschaft.

Als stellvertretender Chefredakteur des FDJ-Forums handelt er sich ersten Ärger ein. Er steigt zum Abteilungsleiter für wissenschaftliche Arbeitsorganisation im Berliner Gummikombinat auf. Wegen eines kritischen Briefes an Walter Ulbricht wird er 1967 verwarnt. Für den „68er“ Bahro wird der Prager Frühling zum Schlüsselerlebnis. Innerer Bruch mit der Partei. Er schreibt ab 1972, fünf Jahre lang, nach Dienstschluß an seinem Buch „Die Alternative“.

Obwohl die Stasi längst informiert ist, wird das Buch zur Bombe. Bahro hat es in den Westen schmuggeln lassen. Vorabdruck im Spiegel, Interviews im West-Fernsehen. Ein bescheidener Mann mit häßlicher Brille tritt brav vor die Kamera und erklärt sein Buch. Bahro sagt den wunderbaren Satz: „Es denkt in der DDR!“ Das Buch wird zum Welterfolg.

Am 23. August 1977 wird Bahro verhaftet. Erich Honecker selbst soll das Strafmaß für den undankbaren sozialistischen Zögling bestimmt haben: acht Jahre Zuchthaus wegen „nachrichtendienstlicher Tätigkeit“. Nach der Wende, mehr als 20 Jahre später, bietet sich Bahro an, in Moabit für den Angeklagten Erich Honecker eine Verteidigungsrede zu halten.

Nach zwei Jahren Knast in Bautzen wird Bahro in den Westen abgeschoben. Mitarbeit bei den Grünen. Im Bundesvorstand von 1982 bis 1984. 1985 Austritt, weil die Partei „nur noch Putzarbeiten auf der Titanic“ verrichte. Bahro wird Gastdozent an der FU, fördert „sektiererische Abstrusitäten von neuen Lebensentwürfen“, so die Zeit.Landkommunen, meditative Zirkel. Die Bhagwan-Episode. 1987 erscheint die „Logik der Rettung“, seine fundamentale Zivilisationskritik.

Nach der Wende ist Bahro wieder da, begehrt Rederecht auf dem Wendeparteitag der SED und darf eine Stunde lang in freier Rede den schockierten Genossen ins Gewissen reden. Trotz allem zeigt sich Bahro frühzeitig versöhnt, pflegt am Ende beinahe freundschaftliche Kontakte zu Gregor Gysi. -man