: Die Vorteile der Kokosnuß
■ Jan Puschs Tanzstück über das Warten „Until the Cows Come Home“auf Kampnagel
Immer gegen die Wand. Mit den Füßen, den Ellbogen, den Handflächenund manchmal mit dem Kopf. Jeder Tritt ein dumpfer Ton, jeder Händedruck ein leises Schaben, jeder Sprung ein monotoner Basedrum. In einer effektsicheren Percussion von Raum und Körper breitet sich die stampfende Monotonie über die Bühne aus. Vier Tänzer und Tänzerinnen in abstruser Betriebsamkeit, angetrieben von einer unbestimmten Sehnsucht im alltäglichen Zeiträtsel auf etwas zu stoßen, das bleibt und bedeutet. Doch nicht nur die Fenster sind viel zu hoch, um auf etwas anderes zu schauen. Und so gibt es bei Jan Puschs Until the Cows Come Home, das am Donnerstag auf Kampnagel seine Premiere feierte, nur die Perspektive auf den eigenen Wartessaal.
Ein Dröhnsignal beendet die Schicht geschäftiger Eintönigkeit. Zeit ausgiebig den Puls zu messen und nach dem Unwiederbringlichem im eigenen Blutschlag zu fahnden. Der zweite Teil gehört der Stille. Der Mann an der Heimorgel ist ruhig, die Sängerin still, der Schauspieler schweigsam, die vier Tänzer leise. Kleinstgeräusche reißen Löcher in die Stille. Ein Kratzen, ein Räuspern, das Vertreiben einer unsichtbaren Fliege. Das große Warten auf eine Überraschung, das Christkind, die Erleuchtung, ein Verfallsdatum, den Anderen, den Schlaf, die U-Bahn, den Sommer, ein Wunder, einen Satz, eine Regung, ein Klingeln... Es klingelt.
Jan Puschs improvisatorische Forschungsarbeit rund um Zeit und menschliche Vertreibungsrituale schlägt aus banalen Irrtümer und hilflosen Sortiersystemen immer wieder neue Funken. Da singt der Orgelspieler mit sakraler Inbrunst, „ich habe Weisung, mich nicht zu rühren, mich nicht ablenken zu lassen. Ich muß mich bereithalten“, und hat vor lauter heiliger Vorbereitung den Zweck vergessen. Und wenn die Tänzerin Wobine Bosch mit einer Hartnäckigkeit wider aller Vernunft versucht, auf einer glatten Kugeloberfläche zu balancieren, ist das ein schlichtes wie wirkungsvolles Bild für das gesamte Unterfangen, Zeit im Kern zu begreifen. Im Kreislauf ewiger Wiederkehr ist nichts zu holen. Also zurück zum Ursprung.
Wie gut, daß es die Kokosnuß gibt. In einer höllandischen Abhandlung werden uns die Vorzüge dieser Frucht nahgelegt. Ein Ei sei auch nicht verkehrt, meint Schauspieler Ulrich Cyran, „und so variabel“. Doch ob mehrfach gekrönte Keimzelle allen Lebens oder haarige Powerkugel, eine Kokosnuß bleibt bei aller Wertschätzung hohl, und ein Ei nunmal zerbrechlich.
Und werden auch Halbwertszeiten und vorläufige Ewigkeiten durchdekliniert, muß man gar erschrocken feststellen, daß auch Schauspieler vor, nach oder ohne Vorstellung sterben können, bleibt am Ende aller Gedankengeburten nur noch einer übrig. Die Einigung auf ein schnörkelloses, alles beantwortendes „Wupp“. B. Glombitza
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