Wand und Boden: Liebe ist ein Loop
■ Kunst in Berlin jetzt: musterwohnen, Bigert & Bergström, Störmer
Die Hines Company hat den exklusiven Hofgarten am Gendarmenmarkt umgebaut und würde sich nun gern heimisch fühlen in Berlin. Deshalb sprach der Vorsitzende Herr Investor zur Eröffnung von „musterwohnen“ sein Publikum ungewohnt höflich als „Mitbürger der Berliner Gesellschaft“ an. Vermutlich hätten sich einige der handsortierten Gäste sogar eines der zweigeschossigen Wohnateliers in der sechsten Etage der Behrenstraße 28 leisten können. Die Kunst zumindest wird bis zum 1. Februar als dekorative Dreingabe gereicht, um „den Facettenreichtum, den das Thema Wohnen bieten kann, in einer seltenen Dichte und unter künstlerischen Blickwinkeln zu erleben“. Im alten Berlin hätte es auch die Wohnzimmergarnitur von Möbel Höffner getan.
Jetzt ist alles ungeheuer modernistisch: Heimo Zoberning probiert silberne Folie als Raumteiler aus, während Art & Language ihre avancierte Theoriesitzecke von der documenta zur Verfügung gestellt haben; von Richard Merkle stammen Sessel und Tische aus Papprollen, die man sich als Diskurs über Beuys, Minimal und Kontextkunst vorstellen muß; und Thomas Locher hat in seiner Musterwohnung grammatikalisch korrekte Sprachmuster an die Wand gemalt. Thomas Grünfeld hält das gesamte Wohnensemble in Curryfarben, und der aus Teheran stammende Bildhauer Siah Armajani widmet Walter Gropius einen überdimensionalen Stuhl, von dem aus man auf den streng begrünten Innenhof starren kann. Lediglich das holländische Atelier van Lieshout hat sich an der Zellenarchitektur für Developer und Workaholics gestört. Also wurde statt cleaner Schlafkojen ein „Modulares Multifrauenbett“ für sechs Personen entworfen, dazu die gleiche Menge an Schnapshaltern und ein Tablett mit Psychopharmaka aus dem Bioladen. Besonders klarsichtig wirkt allerdings die Idee des Österreichers Gerwald Rockenschaub, der mit einer aufblasbaren PVC-Matratze als Paravent den Raum in milchig weiße Nischen trennt. Funktional, geschmackvoll – und teuer.
Do./Fr. 14–20, Sa./So. 13 bis 18 Uhr
„Love is in the air“ steht auf der Einladungskarte, doch lieber schon möchte man „Hundepimmel, igitt, igitt!“ rufen. Denn die rotierenden rosa Zungen sind aufdringlich und ziemlich obszön. Schwindelig wird einem eher von der Wirkung des Kraftfelds, das Bigert & Bergström unter dem Titel „Airy Fairy“ in der Galerie Barbara Thumm installiert haben. Der vordere Raum der Galerie wird mit einem hautfarbenen Stahlgerüst ausgefüllt, an dem sich 19 Ventilatoren in verschiedenen Höhen und Abständen mit den entsprechenden Zungenaufsatzspitzen drehen. Automatisch bewegt man sich selbst halb taumelnd, weil alle Geräte auf den Mittelpunkt des Kubus und doch gleichzeitig auf das eigene Körperzentrum ausgerichtet sind. Es ist, als könnte man spüren, wie die milde Luft über die Haut, das Haar oder die Hosenbeine hinauf strömt. Und auch die Eckpfosten vibrieren allerliebst. Die allgemeine Unruhe kommt der aufgeladenen Atmosphäre älterer Bruce- Nauman-Räume nahe und hat dennoch etwas sehr Meditatives – schließlich spielt der Titel mit dem englischen Begriff für eine versponnene Person. Im zweiten Raum darf man dagegen zuschauen, wie ein Mann und eine Frau per Videoprojektion um die eigene Achse kreisen. Er schwingt dabei ein Lasso, und sie tanzt mit einem Hula-Hoop- Reifen. Durch die Konfrontation der beiden Bewegungsabläufe wird das monotone Treiben erneut zur sexuell aufreizenden Geste, die letztlich wieder aus der angespannten Situation der Akteure resultiert. So ist die Liebe auch nur ein seltsamer Loop.
Bis 31.1., Di.–Fr. 11–18 Uhr, Sa. 11–14 Uhr, Auguststraße 22, (20.12.–6.1. Winterpause)
Von der gegenüberliegenden Straßenseite sieht die Galerie Soma wie ein blauschimmernder Tanzschuppen aus. Verblüfft bleiben einige Fußgänger vor der Fensterfront stehen und lassen sich von den sparsam aufblitzenden Stroboskoplichtern berieseln, andere versuchen etwas unwirsch, die Farbe von den Scheiben abzukratzen. Daß es ihnen nicht gelingt, gehört zum Trick, mit dem Oliver Störmer Innen- und Außenraum gegeneinander ausspielt: Sein hinter Glas gemaltes Environment ist ein 3-D-Effekt, ein am Computer errechnetes Trompe-l'÷il.
Als Bildmotiv hat Störmer ein Pipeline-Rohr irgendwo in Holland ausgewählt und per CAD-Programm in ein Raster aufgelöst. Durch die verschiedene Dichte der Punkte wird das Volumen simuliert. Bei der Übertragung auf die Scheibe kehrte er die Vorgaben jedoch um, nun sieht man das Negativ als Aussparung und kann entsprechend dort hindurchgucken, wo ursprünglich Masse suggeriert war. Der Körper erhält damit Transparenz, oder mehr noch: Mit den Lücken kann seine sichtbare Form überhaupt erst entstehen. Man schaut in die Galerie hinein, um auf deren Oberfläche quasi den Gegenstand zu erkennen. In Umkehrung der Laterna magica erzeugt die Form den Raum – eine echt bildhauerische Angelegenheit.
Störmers Arbeit ist Teil eines Ausstellungsprojekts, bei dem sieben KünstlerInnen für jeweils eine Woche eine Installation in der rundum verglasten, schlauchartigen Ladengalerie präsentieren. Um diese Spannung – Innen/Kunst und Außen/ Alltag – dreht sich das Konzept: Am Anfang beschränkte sich Ruudi Baier auf zwei stereoskopische Fotos einer Party, dann folgte Julia Ziegler mit den Utensilien einer Tankstelle. Zuletzt hatte Karsten Konrad wie bei einem Buddelschiff einen Citroän nebst Wohnwagen in die schmale Galerie geschoben. Auch bei Störmer bleibt das Verhältnis zwischen Kunst und Öffentlichkeit paradox: Man kann das Bild zwar von außen betrachten, der Raum aber bleibt geschlossen.
Bis 19.12., durchgehend zu besichtigen Harald Fricke
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