„Niemand bleibt mir übrig als ich selbst“

Glücklich verheilt: Zu seinem 200. Geburtstag ist Heinrich Heine endgültig repatriiert und tut keinem mehr weh. Der Heine-Forscher Klaus Briegleb schlägt eine gefährlichere Lesart vor: Das exemplarische Leben Heines als das eines Juden in der Diaspora  ■ Von Ulrike Baureithel

Es ist kein Ruhmesblatt, das der Heine-Forscher Klaus Briegleb seiner Zunft ins Album heftet. Verschweigen und Vermeidung, so sein Urteil, sei die dominante Form, sich den „Juden Heine“ vom Hals zu schaffen, und dies gelte für die „linke“ Germanistik um so mehr, wie sie den assimilationsbereiten Dichter im modernen Projekt der Egalité „aufgehoben“ sähe. Rudolf Augsteins Titel- Essay im Spiegel gibt dem Hamburger Heine-Kenner recht: Pünktlich zum 200. Geburtstag erscheint der Dichter „repatriiert“, ein Heine, der „allen gehört“ und keinem mehr weh tut.

So scheint die „Wunde Heine“, von der Adorno einst behauptete, daß sie erst zu schließen sei in einer Gesellschaft, welche die Versöhnung vollbracht habe, geheilt. Doch Heine als Sinnbild des zusammengewachsenen Gesellschaftskörpers BRD zu vereinnahmen heißt eben auch, sein Judentum zu verleugnen. Offenbar gilt nach wie vor, was der bisherigen Rezeptionsgeschichte eigen ist: Heine ist nur zu ertragen als Assimilierter oder als Konvertit – in beiden Fällen jedenfalls als „Verräter“ seines Judentums.

Eine „gefährlichere“ Lesart des am 13. Dezember 1797 im damals napoleonisch besetzten Düsseldorf geborenen Dichters schlägt Briegleb vor. Das Leben eines modernen Juden in der Diaspora: „Allein, niemand bleibt mir übrig als ich selbst“, wie der Jude Harry Heine 1816 in einem Brief beklagt. Dort führt er die unglückliche Liebe zu seiner reichen jüdischen Cousine Amalie zusammen mit der unglücklichen Liebe zur deutschen „Schacherstadt“ Hamburg, „in der nicht das mindeste Gefühl für Poesie zu finden ist“. Die Zerrissenheit zwischen seiner jüdischen Herkunft und Deutschland spricht sich aus in verschmähter Liebe. „Sie liebt mich NICHT“, bekennt der 19jährige dem Freund und bittet, das letzte Wörtchen „ganz leise, leise auszusprechen“.

Heine gehört zu jenen Figuren der deutschen Geistesgeschichte, die sehr früh das Problem der jüdischen Assimilation und den „großen Judenschmerz“ reflektierten. Seine ätzende Polemik entlud sich gegen beide Formen jüdischer „Integration“. „Die einen, die durch Komödianten ihre Bildung und Aufklärung empfangen“ und dem Judentum „neue Dekoration und Kulissen geben“, lieferte Heine ebenso dem Spott aus wie jene, die „ein evangelisches Christümchen unter jüdischer Firma“ machen wollen. Anfang der 20er Jahre bemüht sich der „Dichter jüdischer Lieder“ um einen dritten Weg, der ihn sowohl in den Reihen seiner wohlmeinenden, jüdischen Verwandtschaft in Hamburg als auch bei jenen zum Außenseiter macht, die das Jüdische im „Weltgeist“ gerne aufgehoben gesehen hätten.

Doch auch für Heine bleibt die Taufe 1825 das „Eintrittsbillett in die europäische Kultur“. Er unterwirft sich ihr im klaren Bewußtsein des „nie abzuwaschenden Juden“, der ihm als Stigma auf seinen unsteten Reisen durch Europa haftenbleibt. „Daß aus Unmut gegen das Deutsche meine Muse sich ihr deutsches Kleid etwas fremdartig zuschnitt, ist wahrscheinlich“, formuliert er diesen Zwiespalt, gerade „weil ich eine der deutschesten Bestien bin“.

Die Spannung zwischen dem Deutschen und dem Jüdischen läßt sich in der sorgfältig edierten und kommentierten Sammlung „Prinzessin Sabbat“, die Heines Texte zum Judentum zusammenfaßt, nachempfinden. Die äußere Unterwerfung unter das christliche Gesetz macht bei Heine die Energie frei, sich auf die jüdische Geschichte einzulassen. Das erste große Resultat dieser Studien, der „Rabbi von Bacherach“, dies „unsterbliche Buch im Dome Gottes“, entsteht 1824 und wird, von Heine explizit politisch eingesetzt, 1840 anläßlich der Judenverfolgung in Damaskus veröffentlicht. Die Spannung entlädt sich allerdings auch aggressiv, nicht zuletzt in der Duellierfreudigkeit des Dichters, bei der es immer auch um den Nachweis seiner männlich-bürgerlichen Satisfaktionsfähigkeit geht. Die Platen-Affäre, bei der Heine seinen Kontrahenten als Homosexuellen denunziert, ist ein Musterbeispiel unbewußter Entlastung vom „weiblich“ Jüdischen, und mit dem publizistischen Duell beansprucht der jüdische Dichter seine Teilhabe am nationalen Habitus.

In der Art, wie Heine die jüdische Kränkungsgeschichte im literarischen Gedächtnis bewahrt und aufruft, ist er letztlich verloren für das Projekt friedlicher Assimilation. Seine „Rückkehr zu Gott“ im letzten, von Krankheit geprägten Lebensabschnitt ist kein biographischer oder politischer „Bruch“, sondern der Einsicht geschuldet, daß die Juden in der Diaspora unerlösbar sind und ihre Existenz brüchig bleibt, Fragment und immer auch Provokation.

Gershom Scholem, der genau 100 Jahre nach Heine geborene Judaist, wird schließlich das „Fragment“ der jüdischen Existenz in der deutschen Diaspora als gescheitert erklären. Scholems Judentum ernst zu nehmen, erklärte kürzlich sein Nachfolger an der Jerusalemer Universität, Joseph Dan, sei indessen der Test für die Einstellung der Deutschen gegenüber den Juden. Dieser Test steht für den deutschen Dichter, den Juden Heinrich Heine, noch aus.

Heinrich Heine: „Prinzessin Sabbat. Über Juden und Judentum“. Hg. von Paul Peters. Philo-Verlag, Bodenheim 1997, 697 S., 48 DM

Klaus Briegleb: „Bei den Wassern Babels. Heinrich Heine, jüdischer Schriftsteller der Moderne“. München, dtv, 1997. 439 S., 29,90 DM