Der Retter des Reims

Dichter, Zeichner, Humorkritiker: Robert Gernhardt erfüllte schon mit der „Welt im Spiegel“ das Plansoll. Zuletzt schrieb er „Lichte Gedichte“. Heute wird er 60  ■ Von Carola Rönneburg

Als Hamburger Grüne und Sozialdemokraten im vergangenen Bürgerschaftswahlkampf nach ihrem Lieblingsdichter befragt wurden, nannten sie auffallend häufig seinen Namen: Robert Gernhardt. Der Robert Gernhardt?

Wir haben heut die Frau entdeckt

und zwar als Sexualobjekt,

das war in Wanne-Eickel. [...]

Jawohl, gemeint ist der Robert Gernhardt, der diese hübschen Zeilen Anfang der 70er Jahre in der von F.W. Bernstein, F.K. Waechter und ihm gestalteten Pardon-Beilage Welt im Spiegel (WimS) veröffentlichte – und einige mehr, natürlich, denn der Entdeckung folgt eine Zurechtweisung durch das Sexualobjekt, was wiederum zu Betroffenheit, hemmungslosem Bierkonsum und einem guten Ende führt:

Im Anschluß daran ging es schnell

ins nächstgelegene Bordell.

Und da war Polen offen...

Zwölf Jahre lang bestand WimS, „die unabhängige Zeitung für eine bessere Welt“, und sie hat sicherlich ihr Plansoll erfüllt. Immerhin kann man den größten Teil auch 20 Jahre nach Erscheinen ihrer letzten Ausgabe begeistert lesen und betrachten und daraus lernen; zum Beispiel, daß diese Komik noch immer angenehmes, irrsinniges Kichern auslöst, ganz im Gegensatz zu den flachen Witzen der neuen, selbsternannten Komiker aus der angeblich so humorfreundlichen Fernsehbranche.

Nein, bei WimS genügt es, wahllos eine Seite im jetzt wiedergedruckten und endlich auch gebundenen Sammelband aufzuschlagen: Eine Ausstellung „Originelle Wirtshausrechnungen aus drei Jahrhunderten“ bespricht und bebildert Lützel Jeman alias Robert Gernhardt da in kritischem Ton und zeigt eine Rechnung, auf der „einmal Rühreier“ mit drei Mark und „kein Brot“ mit einer Mark 50 zu Buche schlagen. Auf derselben Seite prangt die zeitlos schöne Rubrik „Kurz und uninteressant“ – eine Schreibmaschine zur Zeitersparnis bei der Herstellung von Pornographie wurde erfunden; die Buchstaben F, I, C und K liegen nebeneinander –, gegenüber heißt es in den höchst albernen Interna aus der WimS-Redaktion: „Ein kühner Plan wird Wirklichkeit: WimS erscheint von heute an als einzige Zeitschrift des Kontinents auch in Lahmenschrift.“

Wie auch seine Kollegen Bernstein und Waechter, besserte sich Robert Gernhardt im Anschluß an seine WimS-Zeit kein Stück. Furor innerhalb der Fraktion, die sich immer wieder gern stellvertretend für andere diffamiert fühlt, erzeugte sowohl sein Chinesen/Hasen-Vergleich in einem Zeit-Magazin von 1984 („Der Chines schaut gern verschlagen / das kann man auch vom Hasen sagen“) als auch seine Bilderreihe „Mit Humor geht alles besser – auch das Ausländervergraulen“ aus dem Jahre 1987. Die Bösartigkeit beim „Ausländervergraulen“ bestand in Gernhardts Umgang mit den neudeutschen Tugenden – Hauptsache, man hat Humor – und äußerte sich etwa in einer Zeichnung, die ein giggelndes Ehepaar neben einem schnurrbärtigen Müllmann zeigt: „Sagen Sie mal, wie kommen Sie eigentlich dazu, uns unseren Müll wegzunehmen?“ Daß Robert Gernhardt hierfür mit besonders empörten Zuschriften eingedeckt wurde („skrupellose Türkenwitze“), wundert nicht. Die Zeichnungen erschienen auf der „Spaß – Satire – Humor“-Seite der Frankfurter Rundschau – eine Einrichtung, die angesichts ihrer Verschnarchtheit damals wie heute mit einer Zeitungswitzparodie überfordert ist.

Mit den 90er Jahren jedoch setzte beim Dichter, Zeichner und Schriftsteller Gernhardt eine leise Altersmilde ein. So begann er 1992, im Magazin der FAZ Notizen aus Georg Christoph Lichtenbergs „Sudelblättern“ zeichnerisch zu interpretieren; verdeutlichend zwar zum Teil, aber iritierend: Warum griff ein Mann, der eigene Worte hatte, auf die eines anderen zurück? Es folgten belanglose Katzenbücher, zusammengepappte Oster- und Weihnachtsgeschichten, und auch der unerträgliche Gernhardt-Rezitator Lutz Görner war weiterhin unterwegs. Schließlich erschienen die „Lichten Gedichte“. Als hätten ihre Chefs sich abgesprochen, wurde diese Sammlung in nahezu allen Feuilletons rezensiert und für seriös befunden. Ihrem Vorgänger, dem wunderbar handlichen, manteltaschenmaßgeschneiderten Band „Gedichte“, den ich hiermit ausdrücklich jedem in den Mantel legen möchte, war das nicht widerfahren.

Ich mutmaße: Das lag am langen, „Literatour Nord“-preisgewürdigten Stück „Herz in Not“, Robert Gernhardts poetischer Reimnacherzählung seiner Bypassoperation. Da war es, das große Thema, das trotz der „Trauergedichte“ von 1994 offenbar vermißt worden war: der Tod – und vielleicht deshalb liest sich so manche Geburtstagsgratulation in diesen Tagen wie ein Nachruf.

Der Tod also: Von Gernhardt nicht nur in diesem Gedicht – übrigens mit einem bewundernswert heftigen Bruch am Ende jeder Reimfolge versehen –, sondern auch in einigen anderen zur Sprache gebracht. Anders als F.W. Bernstein, der seinem Sensenmann starrköpfig entgegenreimt („Nein! Freund Hein!“), verwendet Robert Gernhardt einen ganz anderen Ton. Bedauernd, aber fügsam, sagt er:

Ach, noch in der letzten Stunde

werde ich verbindlich sein.

Klopft der Tod an meine Türe,

rufe ich geschwind: Herein!

Das macht mir Sorgen, denn ich wünsche mir den Retter des Reims weniger verzagt. Nicht zuletzt deshalb, weil Robert Gernhardt sich auch einen Ruf als Kritiker erarbeitet hat: Was komisch ist und was nicht und vor allem, warum jeweils – zur Aufklärung dieser Fragen hat Robert Gernhardt reichlich beigetragen. Maßgeblich an der Erschaffung der Rubrik „Humorkritik“ in der Zeitschrift Titanic beteiligt, untersuchte er jahrelang Texte, Schallplatten, in Büros kursierende Witzzeichnungen etc. auf ihren Komikgehalt und bewirkte so, daß das Lachen, angeblich ja unerklärlich, inzwischen begründbar ist. Und eines noch: Eben jene Titanic, von Robert Gernhardt mitbegründet, konnte nur deshalb noch nicht vom Zeitungsschlucker Erik Weihönig den Zeitungsaasfressern überantwortet werden, weil u.a. der Titanic-Gesellschafter Robert Gernhardt seinerzeit einen Verlegerknebelvertrag ersann, der den Journalistenorganisationen als Mustervereinbarung dienen sollte.

Jetzt zum Schluß. Wer dichten und zeichnen kann und schreiben und kritisieren, dem wünsche ich zum Geburtstag, daß er noch einmal zurückblättert in seinem Werk, und der ist, der er ist: Robert Gernhardt, der natürliche Feind aller Grünen und Sozialdemokraten.

Robert Gernhardt: „Lichte Gedichte“. Haffmans Verlag, Zürich 1997, 264 Seiten, 36DM

Robert Gernhardt, F.W. Bernstein, F.K. Waechter: „Welt im Spiegel“. Verlag Zweitausendeins, Hamburg 1997, 550 Seiten, 50DM