Der Luxemburger Gipfel begann mit einem Eklat. Weil die EU-Regierungschefs der Türkei kein Beitrittsversprechen geben wollten, lehnte der türkische Premier eine Einladung zum Essen beleidigt ab. Den EU-Regierungen ist die Türkei zu rückstän

Der Luxemburger Gipfel begann mit einem Eklat. Weil die EU-Regierungschefs der Türkei kein Beitrittsversprechen geben wollten, lehnte der türkische Premier eine Einladung zum Essen beleidigt ab. Den EU-Regierungen ist die Türkei zu rückständig und politisch zu unberechenbar.

EU-Menü schlägt Türkei auf den Magen

Das Tischtuch ist erst einmal zerrissen. Der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz will sich von der EU nicht mit einem Abendessen abspeisen lassen. Weil die Regierungschefs der EU auf ihrem Gipfel der Türkei kein konkretes Beitrittsversprechen geben wollen, wies Yilmaz die Einladung der EU-Ratspräsidentschaft zum Diner heute abend brüsk zurück. Da war Jean-Claude Juncker sauer. Befreit von diplomatischen Zwängen fühlte sich der Luxemburger Regierungschef und derzeitige EU-Ratspräsident gedrängt, einiges klarzustellen. Die EU erkenne zwar den europäischen Anspruch der Türkei an, räumte er wenige Stunden nach der Absage in einem Interview der Zeitung Luxemburger Wort ein, ein Beitritt sei aber frühestens in ein paar Jahrzehnten denkbar. Außerdem müsse Ankara die Drohung zurücknehmen, im Fall eines EU- Beitritts von Zypern den Nordteil der Insel militärisch zu besetzen.

Das waren erstaunlich deutliche Worte nach all den Verrenkungen, mit denen die EU in den letzten Wochen versucht hatte, die Türkei an Europa zu binden und sie gleichzeitig auf Distanz zu halten. Auf dem Luxemburger EU-Gipfel gestern und heute sollte eigens für die Türkei eine Europa-Konferenz beschlossen werden. Bei den regelmäßigen Ministertreffen sollte über Menschenrechte, Demokratie und die Grundregeln des friedlichen Zusammenlebens der Völker gesprochen werden, keinesfalls aber, so der deutsche Außenminister Klaus Kinkel, „über einen möglichen Beitritt“. Dennoch sprach sich Kinkel dafür aus, der Türkei die Perspektive für einen Beitritt offenzuhalten, schließlich gehöre das Land nach Europa.

Ankara war damit alles andere als zufrieden. Insgesamt 12 Länder haben einen Antrag auf Aufnahme in die EU gestellt. Auf dem EU-Gipfel in Luxemburg wird heute beschlossen, mit sechs von ihnen am 31. März förmliche Beitrittsverhandlungen zu eröffnen: mit Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Estland und Zypern. Mit fünf anderen – Bulgarien, Rumänien, Slowakei, Lettland und Litauen – soll ein allgemeiner Beitrittsprozeß beginnen. Mit Finanzhilfen in Höhe von 90 Milliarden Mark sollen sie an das wirtschaftliche EU-Niveau herangeführt werden, alle sechs Monate wird überprüft, welches Land reif ist, um in die erste Beitrittsgruppe aufzurücken.

Und da wollte die Türkei dabeisein: „Wir wollen nicht schlechter behandelt werden als Bulgarien“, rechtfertigte Yilmaz den Anspruch. Davor schreckt die EU zurück. Die EU-Regierungen fürchten einen wachsenden türkischen Erwartungsdruck, der immer schwerer zu dämpfen sein würde. Keine Regierung kann sich die Türkei wirklich in der EU vorstellen. Das Land ist zu groß, hat zu viele wirtschaftlich rückständige Regionen, ist politisch zu unberechenbar. Das größte Problem aber ist die anhaltende Mißachtung der Bürger- und Menschenrechte, an der sich trotz zahlreicher Reformen im Kern nichts geändert hat.

Dazu kommt der ständige Konflikt mit Griechenland, das bereits heute als EU-Mitglied alles blockiert, was der Türkei nützen könnte. Mehr als eine Milliarde Mark an EU-Finanzhilfen für die Türkei liegen seit Jahren auf Eis, weil Athen gegen die Auszahlung sein Veto eingelegt hat. Wenn es um Zypern oder um die Ägäis-Inseln geht, verläßt sowohl Athen wie auch Ankara die Vernunft. Und nach den bisherigen Erfahrungen sind beide Regierungen auch bereit, ihren Streit mit jedem Thema zu verknüpfen.

Die EU ist nicht die Nato, wo der große Bruder USA notfalls auf den Tisch haut. In der EU kann ein einzelnes Land alles blockieren. Mit Athen und Ankara, so die Angst der EU-Regierungen, wäre die EU ständig lahmgelegt. Doch die Türkei ist zu wichtig, als daß die EU sie links liegenlassen könnte. Als Nato-Mitglied nimmt sie eine Schlüsselposition im östlichen Mittelmeer ein. Sie ist die Brücke zum Iran und zu den islamischen Völkern der ehemaligen Sowjetunion. Vor allem aber ist der Zypern- Konflikt ohne Ankara nicht zu lösen. Die EU hat deshalb ein fundamentales Interesse an guten Beziehungen zur Türkei, nicht zuletzt, um dort ein Abdriften der Gesellschaft zum islamischen Fundamentalismus zu verhindern.

Seit fast 35 Jahren balanciert die EU zwischen Annäherung und Distanz zur Türkei. Bereits 1963, am Höhepunkt des Kalten Krieges, stellten die sechs Gründungsmitglieder der Gemeinschaft der Türkei einen Beitritt in Aussicht. Damals ging es in erster Linie darum, den westlichen Block gegen die Sowjetunion auszubauen. Doch 1963 war die EG noch ein vergleichsweise lockerer Verbund.

Die Eingliederung von Neumitgliedern verpflichtet zu einer wesentlich engeren Kooperation. Die Türkei ist heute weiter von einem Beitritt entfernt als 1963. Seit Mitte der siebziger Jahre versucht die EU, die Türkei mit dem Aufbau einer Sonderbeziehung zufriedenzustellen. Die begleitenden Finanzhilfen werden allerdings größtenteils von Griechenland blockiert. 750 Millionen Mark hält zudem das Europaparlament zurück, um die Achtung der Menschenrechte zu erzwingen.

Das Problem der EU ist, daß sie die Türkei durch Versprechen erziehen will, denen die letzte Glaubwürdigkeit fehlt. Das Problem wurde noch etwas größer durch die kürzliche Erklärung der christlichen Parteien der EU, die Türkei komme als muslimisches Land für einen Beitritt nicht in Frage. Auch wenn das nicht das Hauptmotiv der meisten EU-Regierungen für die Ablehnung sein sollte, es spielt sicher mit. Der Eklat vor dem EU- Gipfel in Luxemburg hat zumindest das unerträgliche Gesülze beendet, mit dem die EU-Regierungen ihre Ratlosigkeit kaschierten. Türkische Journalisten kolportieren, Ankara werde seinen Beitrittsantrag von 1987 endgültig zurückziehen. Das wäre ein Rückschlag für die Beziehungen, aber auch eine Chance für einen Neuaufbau. Als erstes müßten die EU- Regierungen allerdings Athen in die Pflicht nehmen, die kleinkarierte Blockadepolitik aufzugeben. Alois Berger, Luxemburg