Unendlich ländlich

■ Am liebsten hat Matthias Scherz ganz einfach nur seine Ruhe, die findet der Zweitligaprofi des FC St. Pauli am besten in seiner Heimatgemeinde Scheeßel

Autofahren mag er. Dabei hört Matthias Scherz deutschen Schlager, meist Udo Jürgens oder Wolfgang Petri. „Zum Abschalten“, sagt der Mittelfeldspieler des FC St. Pauli. Gelegenheit, sich den leichten Klängen hinzugeben, hat der 26jährige häufig. Rund 50 Minuten benötigt Scherz von seinem Wohn- und Geburtsort Scheeßel zum täglichen Training in Hamburg.

Einen Grund, von der an der Wümme gelegenen Gemeinde näher ans Millerntor zu ziehen, sieht der Zweitligaprofi nicht. Er brauche das Kleinstädtische, gar Ländliche. „Aus dem Fenster zu schauen und nur Hochhäuser zu sehen ist nichts für mich“, sagt der überzeugte Niedersachse. „Außerdem habe ich in Scheeßel Familie, Kumpels und Freundin.“Mit der zieht er demnächst zusammen.

In – natürlich – Scheeßel begann vor 18 Jahren seine Fußballkarriere. Mit sieben trat er Rot-Weiß bei und blieb bis Sommer 1994. Dann kam der Anruf vom damaligen St.-Pauli-Manager und Amateur-Coach Jürgen Wähling und eine Einladung zum Probetraining. „Einmal habe ich mitgemacht und gleich einen Vertrag für den Profi-nachwuchs erhalten“, wundert sich Scherz noch heute. „Woher die mich kannten, weiß ich nicht.“Ist ihm auch egal.

Ebenso wenig will sich der passionierte Holzschiff-Modellbauer einen Kopf darüber machen, wie ihm der Sprung von den Oberliga-Amateurendes FC in den Profikadergelang. „Waren wohl meine guten Leistungen“, so Scherz fast lakonisch.

Wie die meisten Neulinge hatte der gelernte Industriemechani-ker zu Beginn seiner Profi-laufbahn Umstellungspro-bleme. Von den berühmten elf Freunden, die es sein müßten, ließ sich keiner blicken. Und heute? Mit seinem gleichaltrigen Mannschaftskollegen Christian Springer ist Scherz befreundet. „Mit anderen Spielern kann man weniger oder gar nicht.“

Ohnehin hält er sich gerne aus innerbetrieblichen Dingen heraus, vor allem aus unangenehmen. Erst kürzlich beim Abgang des Trainers. „Von Herrn Krautzuns Rücktritt habe ich erst erfahren, als er sich von uns verabschie-dete.“Keiner habe ihn vorher informiert.

Ob das nicht die Aufgabe des Mannschafts-rats gewesen wäre, der beim Präsidenten gegen Krautzun interveniert hatte, mag Scherz nicht entscheiden. „Zu dem Thema möchte ich nichts mehr sagen.“Dann gibt er doch zu: „Das hat wohl einen Keil in die Mannschaft getrieben.“Aber: „Jetzt macht das Training wieder Spaß. Und noch einen Sieg gegen Unterhaching, und die Wogen sind nach dem Winterurlaub geglättet.“

Andererseits habe die Führungskrise auch ihr Gutes: „Die Presse läßt die Spieler zufrieden, die haben andere Sachen im Kopf.“Zu den Medien pflegt Scherz ein distanziertes Verhältnis. Er wolle auf dem Spielfeld überzeugen und „nicht bei Interviews“. Von SAT.1 ließ er noch keinen ran. Da blieb er – gegen den Trend – bisher stur.

Konsequent ist Scherz auch außerhalb des Fußballgeschäfts. Während seiner Zeit als Vertragsamateur machte er die mittlere Reife und das Fachabitur nach. Als Vollprofi, seit 1996, sollte ein Studium folgen. Daraus wurde nichts – keine Zeit. Und gibt es mal einen freien Vor- oder Nachmittag döst er lieber, „als die Lösungen für irgendwelche Matheaufgaben zu suchen“. Eines will der Schlaks allerdings nicht verschlafen: In Liga eins zu spielen, ob beim FC, wo er bis 1999 unter Vertrag ist – oder anderswo. Dafür würde Matthias Scherz sogar Scheeßel untreu werden. Thomas Schubert FC St. Pauli – Unterhaching, heute um 19.15 Uhr, Millerntor