Viele Studien, kein Ergebnis

Neue Untersuchungen zu Leukämie und Atomkraft haben kaum Beweiskraft  ■ Von Marco Carini

Die Nachrichten hätten verwirrender nicht ausfallen können: Es gebe „kein erhöhtes Leukämierisiko“in der Umgebung deutscher Atommeiler, verlautbarte Bundesgesundheitsministerin Angela Merkel Ende November, als sie eine im Auftrag ihres Ministeriums erstellte epidemiologische Studie des Mainzer Strahlenbiologen Jörg Michaelis vorstellte. Da dies nun wissenschaftlich erwiesen sei, wären weitere Untersuchungen schlicht „überflüssig“, wußte die Ministerin weitreichende Schlußfolgerungen aus dem Befund zu ziehen.

Nur wenige Tage später aber sickerte durch: Im angeblichen Freibrief für die Atomkraftwerke steht das genaue Gegenteil dessen, was Merkel kühn behauptete. Die Michaelis-Studie weist im Umkreis von fünf Kilometern um die Kraftwerke für Kinder unter fünf Jahren ein um den Faktor 2,87 erhöhtes Blutkrebsrisiko aus. Die schleswig-holsteinische Leukämiekommission kommt in einer Stellungnahme zu dem Bericht aus Bonn gar zu dem Ergebnis, daß das „Erkrankungsrisiko für Leukämien bei Kindern auf das fast Fünffache erhöht“ist.

Kaum hatte Merkel ihre eigenwillige Interpretation der Mainzer Studie in die Öffentlichkeit geblasen, da erklärte die Leukämiekommission in einer Zwischenbilanz ihrer Arbeit zudem, daß „die radioaktiven Emissionen aus dem Kernkraftwerk Krümmel mit großer Wahrscheinlichkeit das vermehrte Auftreten von Leukämien ausgelöst“haben. „Ein nennenswerter Beitrag durch andere denkbare Verursacher“, so heißt es weiter, „ist unwahrscheinlich.“

Doch auch die Kommissions-Aussagen blieben, kaum waren sie an der Öffentlichkeit, nicht unwidersprochen. In einem „Minderheiten-Votum“behaupten zwei Mitglieder des Gremiums das genaue Gegenteil. Von einer hohen Wahrscheinlichkeit, das der Krümmeler Reaktor schuld an der erhöhten Leukämierate bei Kindern sei, könne überhaupt nicht die Rede sein. Die von der Kommissionsmehrheit aufgestellten Thesen zeichneten sich durch „Unhaltbarkeit und Dürftigkeit“aus und würden die Ergebnisse von Studien, die das Gremium selber angeregt hat „leugnen oder übergehen“.

Auch Michaelis, der für in der Umgebung von Krümmel lebende Kinder immerhin ein vierfach erhöhtes Leukämie-Risiko konstatierte, beilte sich festzustellen, daß ein Zusammenhang zwischen dem Elbmarsch-Atommeiler und der hohen Blutkrebsrate „nicht erwiesen“sei. Andere Ursachen seien möglich, da es an verschiedenen Orten der Republik, die teilweise weit ab von Atomkraftwerken lägen, erhöhte Krankheitshäufigkeiten gebe. Um welche Ursachen es sich dabei handeln könnte, dazu wußte allerdings auch Michaelis nichts Erhellendes beizutragen.