Wenn Würmer weinen

■ Ein Herz für die ganze Welt: Der A-cappella-Chor „Black Voices“im KITO

Fremdling, der du in diese schöne Stadt am großen Fluß kommst, um den EinwohnerInnen, BremerInnen genannt, deine Musik zu bringen, willst du am nächsten Tag frohen Herzens weiterziehen, dann merke dir eines ganz genau: Nie, aber auch wirklich nie nie nie – und bist du noch so ausgelassen – , fordere die BesucherInnen deines Konzertes dazu auf, im Rhythmus deiner Musik mitzuklatschen. Es geht in die Hose. Garantiert. Und, mehr noch als das Klatschen, solltest du peinlich genau darauf achten, daß du dich nicht zu der noch größeren Dummheit hinreißen läßt, das Publikum zum Mitsingen aufzufordern. Möge unser großer Lord, Oh Hallelulja, davor sein, um dieses akustische Desaster zu verhindern. Es wäre grauselig. Bestimmt.

Die „Black Voices“könnten ein Lied davon singen. Würde mit Sicherheit ein Blues. So wie das erste Stück, mit dem die fünf Frauen im KITO ihr Konzert begannen. Traurig. Todtraurig. Schnief. Richtig was für's Herz. Selbst die Würmer in der Holzdecke waren gerührt. Und ließen, für jeden zarten A-cappella-Ton, der den Weg aus den wattigen Kehlen der Quintetts in die rauhe Welt fand, große salzige Tränen auf die zahlreichen Köpfe der unbegabten Rhythm-Section prasseln.

Ein Herz für alle, ohne Zweifel, das haben die „Black Voices“. Gleich mehrmals widmeten sie sich im Laufe des Abends dem derben Schicksal der Opfer des vom Patriarchat ersonnenen Frauendreikampfes „Unnötig Weinen-Kochen-Kinder gebären“. Ein Song für die Mütter, die zu Weihnachten immer so viel arbeiten müssen, ein anderer für die vom Schicksal gebeutelten, dazwischen noch ein kleines Medley mit Macarena, Jingle Bells und O Tannenbaum: Wäre man böse, könnte man das schön gesungenen Mist nennen. Aber in der Vorweihnachtszeit ist auch unser Herz groß und verzeiht gnädig.

Außerdem war es tatsächlich überwiegend ein netter Abend. Nach jedem „WennwiresnurwollenwirddieWeltgut“-Statement der Chorleiterin Carol Pemberton war klar, jetzt werden die zarten schwarzen Finger mit den sorgsam manikürten Nägeln geballt und „Freedom“oder „Get up, stand up for your rights“gefordert. Warum auch nicht. Und als, für alle Verliebten, „My Elements“angestimmt wurde – ja, wir geben es unumwunden zu – fielen uns schlagartig die ganzen verdammten Sünden des ganzen verdammten Lebens wieder ein. Den Nachbarn flehten wir an, uns die Beichte abzunehmen, in Tränen aufgelöst sackten wir darnieder, wirklich alles wollten wir im Angesicht der ungetrübten Schönheit des Gesangs gestehen – das nächste Stück. Uff, Glück gehabt.

Nicht einmal 90 Minuten dauerte die akustische Seelenmassage. War auch gut so. Denn der Sauerstoff im total überhitzten KITO war schon knapp. Uns ging der Schweiß aus. Und den Holzwürmern versiegten die Tränen. zott