■ Zeige mir deinen Haushaltskalender, und ich sage dir...
: Nach dem Gottesdienst zu Tante Ulla

In jedem Jahr spendiert gibt die Sparkasse ihren Kunden einen Haushaltskalender. Und damit jeder versteht, wie der genutzt wird, hat die Sparkasse auch diesmal wieder einen Anonymus überreden können, seine alten Eintragungen offenzulegen (s. Foto). Aber wie anonym ist der Haushalt, der hier ein Beispiel geben soll? Wenn wir uns einen Monat im Leben dieses Unbekannten ansehen, so können wir durch geschicktes Kombinieren ein Haushaltskalenderbenutzerprofil erstellen.

Am 3. August 1996 trifft er um 13 Uhr auf „Eltern“. Was genau mit denen besprochen oder unternommen wurde, verrät der Kalender nicht. Allerdings ist gleich für den nächsten Tag ein „Gottesdienst“ notiert, für zehn Uhr, was darauf schließen läßt, daß die Eltern über Nacht blieben und ihnen zuliebe eine solche Veranstaltung besucht wurde. Dies ist um so wahrscheinlicher, als „Gottesdienst“- sowie „Eltern“-Termine für den Rest des Monats nicht mehr eingetragen sind. Der Sonntag bleibt leer, der Nachwuchs im Bett. Gegen diese Theorie spricht eigentlich nur die Möglichkeit, daß unser Kalenderträger mal mehr, mal weniger katholisch ist und den Einzelkirchgang vorsorglich eingeplant hatte – für den Fall, daß der Elternauftritt absolutionswürdige Gedanken oder Handlungen provozieren würde.

Blicken wir nun in die nächste Woche, wo wir zunächst den winzig kleinen Aufdruck am Dienstag ignorieren: „Heilige 3 Könige“ steht da. Ein Versehen, vermutlich, denn links oben prangt rot und deutlich „August“ und nicht etwa „Januar“. Außerdem wäre das dann der Januar 1998, und so hellsichtig wird unser Haushälter kaum sein, daß er jetzt schon weiß, was das nächste Jahr bringt.

Konzentrieren wir uns lieber auf den Mittwoch: Viertel nach vier „Dr. Berka.“ Die Niederschrift des Namens legt nahe, daß es sich bei „Dr. Berka“ um einen Allgemeinmediziner der Marke Hausarzt handelt, heißt es doch sonst in Terminkalendern „Zahnarzt“ oder „Augenarzt“. Trotzdem, ein wenig dubios ist diese Angelegenheit. Mit der nächsten Eintragung kommen wir jedoch weiter. „Tante Ulla“, plus Telefonnummer. Tante Ulla wohnt in Köln, wie wir der Vorwahl ansehen können. Allerdings meldet sich unter der angegebenen Nummer eine männliche Stimme. Ist „Tante Ulla“ ein Pseudonym? Müssen wir ab sofort von der Haushaltskalenderbesitzerin sprechen, einer verheirateten Frau, die eine Liebschaft in einer anderen Stadt tarnt? Denn sicher ist: Madame lebt nicht in Köln. Sonst hätte sie wohl kaum die Vorwahl von „Tante Ulla“ aufgeschrieben.

Nach mehreren freien Tagen dann dies: „Tennis mit Hubert“. Ist „Hubert“ die geheimnisvolle „Tante Ulla“?

Am 20. August hat „Karin“ Geburtstag. Dies scheint kein verschlüsselter Eintrag zu sein, denn auf der „Laufende Ausgaben“-Seite hat unsere Mrs. X ein „Geschenk“ für 20 Mark unter der Rubrik „Sonstiges“ verbucht. Es könnte sich dabei um den Blumenstrauß handeln, der links im Bild zu sehen ist. Zum gleichen Preis führt „Sonstiges“ übrigens auch „Kino mit Uta“ auf – aber wann, bitte, soll das gewesen sein? Im Terminplaner steht davon nichts. Höchst suspekt ist auch der Kinokartenbetrag von 20 Mark, ein Wucherpreis für eine Vorstellung. Sollte „Uta“ etwa eingeladen worden sein? Aber welches Kino, das sich „Film- Palast“ nennt, verkauft seine Billets für nur 10 Mark? Hier stimmt wieder einmal nichts. Ist „Uta“ in Wirklichkeit „Hubert“ alias „Tante Ulla“?

Vielleicht helfen uns die letzten Stichworte: das „Schreiben an Ben“, das „Geschäftsessen“, das „Finanzamt“ und der „Einkauf“.

98 Mark soll der „Einkauf“ gekostet haben. Werfen wir einen Blick auf den Warenkorb vorn rechts im Bild: Viel ist das nicht und vor allem Gemüse. Angesichts der bisherigen Schwindeleien, bei der wir X nun schon ertappt haben, sollten wir keine Filetsteaks auf dem Korbboden vermuten. Nein, dies ist ein vegetarischer Einkauf – aber für 98 Mark? Wir rechnen nach, zu Augustpreisen:

– zwei Zwiebeln, zirka 50 Pfennig;

– ein Kopfsalat, 1 Mark;

– eine Baguette, 2 Mark 65;

– Marmelade mit albernem Deckchenverschluß, zirka 4 Mark;

– Porree, zirka 2 Mark 40

– ein großes Stück eingeschweißter Käse, zirka 6 Mark.

Zwischensumme: 16 Mark 55.

Bleiben eine Flasche Wein und eine undurchsichtige Papiertüte, um die Differenz von 81 Mark 45 zu erklären. Aber kauft jemand, der eingeschweißten Käse ißt, sündhaft teuren Wein? Sicher nicht. Und auch die Papiertüte wird kaum etwas Kostbareres als Obst enthalten. Damit ist die Sache klar: Zählen wir 16 Mark 55 und 9 Mark 95 (Orvieto) und 6 Mark 46 (Trauben) zusammen, so kommen wir auf exakt 30 Mark. Und nun erinnern wir uns an den Posten „Kino“: Macht 68 plus 20, sind 88 unterschlagene Mark, gebunkert in der Schwarzkasse.

Vor diesem Hintergrund ist es denn auch einfach, die restlichen Aufgaben zu lösen. Das „Geschäftsessen“ wurde sicherlich aufgrund des Treffens mit Herrn Müller im Finanzamt erwähnt – das schlagartige Sammeln von Quittungen aller Art beginnt immer mit einem Finanzamtkontakt – und damit ist Herr Müller weder „Uta“ noch „Hubert“, noch „Tante Ulla“, sondern tatsächlich Herr Müller. Das „Geschäftsessen“ dagegen, unwahrscheinliche 120 Mark für mindestens zwei Personen, ist so frei erfunden wie der „Einkauf“. Macht 208 Mark!

Was im August geschah, liegt nun klar vor uns. Am 30. nämlich kaufte sich unsere Unbekannte eine einfache Bahnfahrkarte nach Köln (ohne Bahncard). Rein rechnerisch stammt sie also aus einer gut 700 Bahnkilometer entfernten Stadt: Dresden (701 Kilometer, 179 Mark zuzüglich IC-Zuschlag). Sie lebt heute glücklich mit „Tante Ulla“ zusammen und muß kein Haushaltsbuch mehr führen. Und mit „Ben“ ist ein für allemal Schluß. Carola Rönneburg