Nicht Deutscher und auch nicht mehr Meister

■ Der Absturz des Eiskunstläufers Vlascenko setzt sich bei den deutschen Titelkämpfen fort

Berlin (taz) – Geliebt wurde er nie. Wer mag schon Sportler, die offensichtlich nicht wissen, wann sie trinken dürfen? Dreimal wurde er dennoch deutscher Meister. Ohne Applaus. Man nahm es hin. Er war einfach besser als der Rest der eiskunstlaufenden Männer in Deutschland. In glücklichen Momenten stand er sogar den dreifachen Axel kratzer- und sturzfrei. Andrej Vlascenko (23) durfte sich alle Hoffnung machen, eingedeutscht zu werden.

Zwar lief er über das Eis, wie gestraßte und getüllte Tüntchen sich die große Pose vorstellen – im Stile eines armfuchtelnden Bajazzo, der die Augen verdreht, um die geschmerzte Seele auszudrücken –, um Tragik und Tragödie öffentlich zur Schau zu stellen. Aber das kümmerte die Deutsche Eislauf- Union wenig. Der immer ein bißchen hochnäsig wirkende Mann war sportlich gut genug, möglicherweise doch noch eine Medaille bei einer internationalen Meisterschaft erreichen zu können.

Da kam es einer günstigen Fügung gleich, daß er als Kind sowjetischer Soldaten in Weimar geboren wurde. Der Instanzenweg war so fast schon geebnet, daß er, der 1994 noch für Lettland bei der Olympiade in Lillehammer an den Start ging, wie andere Sportler aus osteuropäischen Ländern einen deutschen Paß bekomme. Aber Vlascenko machte einen Fehler: Er dachte, daß seine Meistertitel ihn schon zu einer prominenten Person machen würden.

Er ließ sich feiern – und sprach dabei alkoholischen Getränken mehr zu, als die Polizei erlaubt. Dreimal verursachte er Verkehrsunfälle, zweimal davon in betrunkenem Zustand. Danach sagte das baden-württembergische Innenministerium: Nein, er müsse sich um einen deutschen Paß ebensolange anstellen wie andere Einwanderer auch. Kurzum: Bis Februar würde es nichts – womit eine Teilnahme an den Olympischen Winterspielen ausscheidet, denn dort müssen die nationalen Teilnehmer auch Staatsbürger sein.

In Berlin bei den deutschen Meisterschaften muß ihm dies schwer zu schaffen gemacht haben. In der Kurzkür stürzte er beim dreifachen Axel, sogar bei einer Sitzpirouette wackelte er zu Boden. Trauer legte sich daraufhin über die Eiskunstlaufgemeinde: Der Mann reißt eben die Herzen nicht so mit wie die genesene und klar über Konkurrentin Eva-Maria Fitze siegende Tanja Szewczenko, die gestern sechs Dreifach sauber stand und nun frohen Mutes ist, „in der Weltspitze“ mithalten zu können.

In der Kür am Samstag schließlich profitierte Vlascenko zwar von den Patzern der meisten anderen Konkurrenten, doch zum Titel reichte es dieses Jahr nicht. Rittberger, Flip und Axel nur doppelt rotiert, darüber hinaus eine Musik, die so tragend wie unerträglich ernst daherkam – das honorierte das Preisgericht mit der zweitbesten Kür und dem zweiten Rang insgesamt.

Vlascenkos Trainerin ließ in der Berliner Eishalle eine Unterschriftenliste herumreichen. Die Unterzeichner fordern die Behörden auf, dem gebürtigen Deutschen doch einen Paß zu geben. 10.000 Signaturen sind das Ziel, 1.500 waren es bis gestern. Vlascenko sagte nur: „Ich bin froh, mich für die EM qualifiziert zu haben.“

Meister wurde der Berliner Polizist Sven Meyer (20). Ein pickeliger, schüchterner Läufer aus guter, alter DDR-Schule, die schon Häßliche wie Jan Hoffmann großgemacht hat. Er stand neben anderen Sprüngen auch seinen dreifachen Axel passabel. Tat auch künstlerisch nicht so, als sei er ein goldener Schwan, der auf den Gratistrip ins Elysium hofft. Das fand die Jury sehr ansprechend. Ob sein Können für Nagano reicht, ist unklar: Bei der EM im Januar in Mailand muß er einen achten Rang schaffen. „Dann würde ein Traum in Erfüllung gehen“, sagte er, „aber ich glaube nicht dran.“ So wird es garantiert nichts. JaF