■ Sind faule Professoren Schuld am Desaster der Universitäten? Antwort eines deutschen Professors auf Michal Bodemanns Polemik
: Sprengt die Macht der Strukturen!

Wenn es politisch spannend wird, häufen sich Deutungen der gesellschaftlichen Realität, die auf massenwirksame Bilder zurückgreifen – auch wenn diese Bilder etwas schräg zur Realität stehen. Michal Bodemann konnte mit seiner Professorenschelte anläßlich der Uni-Streiks auf vehemente Zustimmung rechnen und zu kräftigen weiteren Streichungen im Wissenschaftsetat ermutigen.

Seine Botschaft ist eindeutig: Es gibt Luft für weitere Einsparungen. Denn die wahre Ursache der Misere sind die westdeutschen Professoren. Die sind unfähige Faulpelze, die ihre Lehre vernachlässigen, internationale Entwicklungen nicht wahrnehmen, jahrelang keine wissenschaftlichen Texte schreiben und nicht wissen wie man „Kompjuter“ oder „Imehl“ buchstabiert. Wahrscheinlich fahren sie nicht einmal in die Toscana, weil das schon zu weltläufig wäre. Kurzum: Die deutschen Professoren sind dünkelhafte kleine Götter, die ihre Assistenten kujonieren und ausbeuten. Zu alledem haben sie auch noch das Wissenschaftssystem der DDR zerstört, das vor Innovativität und Weltoffenheit offenbar vibrierte. Als sie sich den Osten unter den Nagel rissen, haben sie ihn daran gehindert, jene Strukturreformen durchzuführen, die der Westen auch im Osten dringend benötigt hätte.

Zur zweiten These: Es gab in der DDR kreative wissenschaftliche Milieus, die von der Stasi nicht zerschlagen waren. Sie sind im Westen kaum wahrgenommen worden; das westliche Vorgehen war entsprechend rüde. Aber die Sehnsucht nach der DDR-Wissenschaft kann auch übermächtig werden. Gegen diese Nostalgie hilft wahrscheinlich nicht einmal eine Roßkur wie etwa eine zweitägige Lektüre von damaligen Originaltexten.

Die massenwirksamste These ist die erste: Die Faulheit und Provinzialität der westdeutschen Professoren sei Kern aller Übel. Dafür scheint einiges zu sprechen: Die geringe Leistungskontrolle nach der Berufung auf eine Lebenszeitstelle muß Faulheit geradezu provozieren; denn andere Domestiken, die nicht überwacht werden, schlonzen ja auch. Nun gibt es mit Sicherheit faule deutsche Professoren. Aber wo sind sie? Wer sich ernsthaft umsieht, sieht solche, die emsig lehren, forschen, publizieren, prüfen und verwalten. Manche sind fachidiotisch, nicht alle sind genial; aber alle lesen Englisch und sprechen es mehr oder weniger verständlich. Viele jetten ständig zwischen Canberra, New York und Moskau hin und her. Natürlich sind sie keine Amerikaner, aber sie bemühen sich doch sehr.

Was die Hochschullehrer behindert, ist eher strukturelle Überforderung. Die Forschung leidet, weil die Selbstverwaltung zu viel Zeit frißt, die Selbstverwaltung leidet, weil die Lehrbelastungen zu groß sind. Es gibt zu viele Studenten, weil es zu wenige Lehrkräfte gibt, und es gibt zu wenige Lehrkräfte, weil es zu viele Studenten gibt.

Eine wesentliche Ursache der deutschen Misere außerhalb der medizinischen, technischen und juristischen Fakultäten ist die Idee, daß jeder Student zum Wissenschaftler zu bilden sei. Aber die meisten sehen ein entsprechendes Studium als Zumutung an. Die zunehmende Verschulung des Studiums, die die motivierten Studenten lähmt und die Universität verödet, ist der eher verzweifelte Versuch, den weniger Motivierten ein Minimum an Kenntnissen aufzuzwingen. Lassen sich für sie keine besseren Alternativen finden?

Eine vollständige Übernahme des US-Musters, die das Problem in zwei Phasen zerlegt, wäre in dieser Situation sinnvoller, als der peinliche Eklektizismus der neuen Hochschulgesetze, die sinnlos kleinen Häppchen des traditionellen deutschen Studiums amerikanische Bezeichnungen wie „bachelor“ oder „master“ aufpappen. Wirkliche Vergleichbarkeit ließe sich herstellen, wenn man die Oberschulbildung zwei Schuljahre früher enden ließe und ihr ein kleines Fachstudium mit großen allgemeinbildenden Elementen anschlösse. Dann gäbe es richtige „bachelors“, die neunzehn, und „masters“, die knapp über zwanzig Jahre alt wären.

Für eine reduzierte Anzahl von Studenten begänne erst danach das eigentliche – graduierte – Fachstudium. Wie in den USA könnten die graduierten Studenten in der Lehre und den Prüfungen der Undergraduates eingesetzt werden und den Massenbetrieb entschärfen. Auf der Graduiertenstufe könnte dafür die deutsche Fiktion der Einheit von Forschung und Lehre zu einer Realität mit US- Vorzeichen werden: Wie in den USA ließen sich dann die Lehrverpflichtungen auf ein vernünftiges Maß senken; großzügige Freistellungsregelungen könnten wie dort immer wieder Perioden intensiver Forschung ermöglichen.

Auch ein weiterer Zopf ließe sich abschneiden: die akademische Selbstverwaltung. Es würde sich zeigen, daß die angebliche Macht der deutschen Professoren ebenso wie die akademische Selbstverwaltung eine schmeichelhafte Fiktion war. Ihre weitgehende Streichung ist in den neuen Hochschulgesetzen ohnehin vorgesehen. Die Entscheidungsbefugnisse werden an der Verwaltungsspitze konzentriert. Aber auch wären Nägel mit Köpfen denkbar: Das Gewirr von Kommissionen, Unterkommissionen und Ausschüssen, die mit durchdachten Vorschlägen die Papierkörbe der Kultusverwaltungen verstopfen, ließe sich ersatzlos streichen. Die allmächtigen Verwaltungen könnten sich wie in den USA darauf konzentrieren, die Professoren für Forschung und Lehre freizustellen.

Das treibende Motiv der gegenwärtigen deutschen Hochschulpolitik hat eine andere Stoßrichtung: Ausgabensenkung angesichts unaufhaltsam sinkender Steuereinnahmen. Durch Verknappungen und eine zackige Leitungsorganisation sollen Qualitätssprünge erreicht werden. Die Armut der Bibliotheken soll durch Mittelkürzungen behoben, die Vermehrung der Studentenzahlen durch eine Reduzierung des wissenschaftlichen Personals geheilt werden. Die Frustration der Studierenden soll durch pädagogische Mätzchen, ihre Zukunftsangst durch das Training auf eine nicht existierende Praxis behoben werden. Gegen sinkende Forschungsmittel helfen Evaluationen, die weitere Einsparungen ermöglichen.

Diese Ideen lassen sich nur dann scheinbar schlüssig zusammenbinden, wenn man – wie Bodemann – als den wahren Grund des Übels die beamteten Schnarchprofessoren benennt. So ist dieses These vor allem zweierlei: Balsam für die gequälten Herzen der Finanzminister und für die wissenschaftspolitischen Kümmernisse deutscher Taxifahrer. Erhard Stölting