Die soziale Stabilität des Fragilen

■ SPD-Fraktion plant "Konzept zur Zukunftssicherung der Großsiedlungen": Neuregelung der Fehlbelegungsabgabe, Eigentumsförderprogramm, Senkung der Bindungsquote. Mieterverein sieht "Liquidierung des sozia

Ihr Ruf ist ramponiert: zerschlissenes Wohnumfeld, Vandalismus und Kriminalität, kleine Wohnungen, riesige Blöcke und die zugige Einkaufspassage im Quartier, fragile Sozialstrukturen und wenig kulturelle Einrichtungen. Die Großsiedlungen und Sozialpaläste der Stadt leben seit Jahrzehnten mit diesem Stigma. Gropiusstadt im Südosten, das Märkische Viertel und die Schlangenbader Straße, das Neue Kreuzberger Zentrum, die östlichen Plattenbauten oder die Rollbergsiedlung bilden die Synonyme für massenhaft hochgezogenen Beton – und sonst kaum etwas. Wer Geld besitzt, zieht weg. Wer keines hat, bleibt sitzen.

Um die Wohn- und Lebensqualität in den Siedlungen und großen Wohnquartieren der Stadt zu verbessern, plant die SPD-Fraktion im kommenden Jahr ein „Aktionsprogramm“ zur Zukunftssicherung der Großsiedlungen. „Ziel des Programms“, sagte gestern Hermann Borghorst, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender, sei es, dem „zunehmendem Leerstand und der sich deutlich verändernden Sozialstruktur zu begegnen“. Weil immer mehr Familien aus den Gebieten ins Umland abwanderten und dadurch die Mischung innerhalb der Siedlungen gefährdet sei, sollte mit einer „deutlich veränderten Belegungspolitik, mittels Sanierungsmaßnahmen sowie der Förderung der Eigentumsbildung“ die „notwendige Stabilität“ erreicht werden.

Die Konzepte, die der SPD vorschweben, sind nicht unbedingt radikal. Im Gegenteil: Teile waren bereits mit der CDU-Fraktion ausgehandelt worden. So sollen in den sogenannten problematischen Gebieten – etwa in den Siedlungen in der Wollankstraße oder in der Heinrich-Zille-Siedlung – die Fehlbelegungsabgaben, Ausgleichszahlungen und bezirklichen Besetzungsrechte „vollständig aufgehoben weren“.

Damit, sekundierte SPD-Fraktionsvize Rudolph Kujath, könne „garantiert werden, daß auch normale Leute, Facharbeiter und Handwerker, die sonst übermäßig mit Miete belastet werden, dort wohnen bleiben oder einziehen“. Kujath unterstrich sein Argument mit einer Statistik der Wohnungsbaugesellschaft Gesobau, in der ein „besonders hoher Wegzug“ der Bewohner aus dem Märkischen Viertel infolge überhöhter Fehlbelegung und zu hoher Miete festgestellt worden war.

Außerdem plädiert die SPD- Fraktion für die „Neugliederung der Fehlbelegungsstaffel ab dem 1. Juli 1998“. Dabei soll die Fehlbelegungsabgabe im sozialen Wohnungsbau „stadtweit und generell“ erst ab einer Überschreitung der Einkommensgrenze von über 50 Prozent erhoben werden. Wie die „Fehlbelegungsstaffel“ im einzelnen aussehen soll, sagte Kujath, werde von der Fraktion auf einer Klausurtagung im Januar beraten. Derzeit liegt die Überschreitungsgrenze bei Fehlbelegungen bei 30 Prozent. Die Spanne reicht von 1,25 bis 6 Mark pro Quadratmeter.

Kritik an dem SPD-Konzept kommt vom Mieterverein. So sei weder die Aufhebung der Fehlbelegungsabgabe noch die der Belegungsbindung geeignet, die Lebensqualität in den Quartieren zu sichern, sagte Hartmann Vetter. Vielmehr komme es darauf an, die Großsiedlungen „nicht schlechtzureden“ und dafür zu sorgen, daß angesichts steigender Arbeitslosigkeit genügend Wohnraum im sozialen Wohnungsbau bereitgehalten werde. Vetter vermutet hinter der SPD-Strategie eine „Liquidierung des sozialen Wohnungbaus insgesamt“. Gerade vor dem Hintergrund, daß ab 2005 die Zahl der Sozialwohnungen von 350.000 auf 130.000 zurückgehen wird, sei es nötig, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu halten. Rolf Lautenschläger