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■ Hauptversammlung der Bewag: ÖTV-Chef Kurt Lange vom Aufsichtsrat in den Vorstand gewählt. Stromkonzern klopft sich auf die Schulter, rechnet aber 1998 mit Rückgang der Erträge

Der riesige Saal des ICC ist gut gefüllt. Die Männer ordentlich im Anzug, die Frauen gepflegt in Bluse und Rock. Die Mehrzahl mit grauen Haaren. Aufmerksam schauen sie nach vorn. Auf dem Podium, von orangefarbenen Blumen und türkisfarbenen Schleifen umsäumt, weitere ältere Männer in dunklen Anzügen und Krawatte: in der ersten Reihe der vierköpfige Vorstand, dahinter der Aufsichtsrat der Bewag. Die Bewag hatte gestern zur Hauptversammlung eingeladen – zur ersten nach der vollständigen Privatisierung des Berliner Stromversorgers.

Einer paßte ganz gut in die Reihen der gutgekleideten Damen und Herren. Kurt Lange, bekannt dafür, daß er im Nadelstreifenanzug samt Weste auch die ÖTV regierte, rutschte gestern hinauf in die Vorstandsetage. Der Bewag- Aufsichtsrat ernannte ihn zum Vorstandsmitglied für Personal- und Sozialwesen. Der ÖTV-Chef hatte bis vor kurzem energisch gegen die Privatisierung der Bewag protestiert. Im September waren die letzten 51 Prozent Bewag-Anteile aus öffentlichen Besitz an die drei Stromunternehmen PreussenElektra, Viag und Southern Energy Inc. gegangen. Jeweils 23 bis 26 Prozent halten die Unternehmen, der Rest ist in Streubesitz. Neben Lange ernannte der Aufsichtsrat auch J.Bruce Jones in den nunmehr fünfköpfigen Vorstand.

„Das vergangene Geschäftsjahr war das bisher erfolgreichste in der Geschichte der Bewag“, verkündete der Vorstandsvorsitzende Dietmar Winje. Der Gewinn sei um 9 Prozent auf 185 Millionen Mark gestiegen. Für das laufende Geschäftsjahr rechnet Winje sowohl mit einem Rückgang der Umsatzerlöse um 19 Millionen Mark als auch mit einem niedrigeren Ertrag.

Die Aktionäre, die fast die 4.700 Plätze des ICC-Saals füllten, wählten mit großer Mehrheit einen neuen Aufsichtsrat. Vorsitzender des Aufsichtsrates wurde Barney Rush, Vice President der Southern Energy Inc. Mit einer gewaltigen Mehrheit wurde auch der Vorstand entlastet. Dabei hatten einige kritische Aktionäre dazu aufgerufen, die Entlastung zu verweigern. Denn, so die umweltbewußten Aktionäre, die Bewag tue zuwenig für die Anwendung erneuerbarer Energien.

Auch das zukünftige Vorstandsmitglied Kurt Lange wurde in die Pflicht genommen. Lange wolle in das Amt, um den Jobabbau zu vermeiden, sagte Plutar von der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre. „Doch es ist Aufgabe von Herrn Lange, sein Amt im Interesse aller Aktionäre zu führen.“ Und er hoffe, daß der Ex-ÖTV- Vorsitzende sich dieser Aufgabe bewußt sei.

Karen Wientgen